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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Kameraden von der Musikkapelle. Keine Predigt, keinen Lebenslauf. Das gab es nicht. Lisi wusste nicht, wie man auf evangelisch beerdigt wird, mit seinen Nachrufen, die nicht mehr ankommen.
    Es war ein schöner Morgen, als Lisi langsam zu den Worten »Ich bin die Auferstehung und das Leben« am Seil hinabgelassen wurde.
    Die Starfighter flogen immer bei schönem Wetter.
    Auferstehung war nicht zu verstehen. Aber ich konnte mir ausdenken, was der gute Strittmatter sagte, als er zu seinem Weihwasserpinsel griff und dem Leichengräber mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, er solle jetzt die Automatik bedienen und den Sarg im Zeitlupentempo hinablassen, als ob es für Lisi noch eine Schonfrist gegeben hätte unter der Sonne.
    Der gefährlichste Augenblick der Leicht auf dem Friedhof war erreicht. War Strittmatter zu pathetisch in seinen Weihwasserbewegungen, war sein Weihwasserkreuzzeichen auf den Sarg hin zu ausufernd, klang seine Stimme, wenn sie zu hören war, zu eindeutig, wenn er Auferstehung sagte, und in Richtung Leichengräber mit dem Kopf nickte, flössen in diesem Augenblick die bis dahin zurückgehaltenen Tränen. Fritz schluchzte auf und fing sich wieder.
    Die Farbfenster der neuerstellten Leichenhalle, die wie im Rosengarten so getönt waren, dass man nicht richtig hinaus-, aber auch nicht richtig hineinsah, klirrten. Die Trauergäste -oder wie soll ich sagen - hielten sich die Ohren zu und schauten nach oben. Die anderen weinten weiter. Kinder hätten geschrien, doch auf der Leicht gab es keine Kinder. Lisi ist mit Lisi ausgestorben. So dicht flog der Starfighter über die Leichenhalle, dass man auch noch den Kopf des Piloten erkennen konnte, in dem vielleicht Stroh war. Die Trauergäste zuckten zusammen. Strittmatter wartete mit seinem »Staub bist du«, dem weiteren gefährlichen Augenblick, wenn er eine Schaufel guten Himmelreicher Bodens auf dem Sarg aufklatschen ließ, der schon im Boden lag. »Staub bist du«, behauptete er mit seiner Schaufel Richtung Lisi. Das war deutlich zu hören, »doch der Herr wird dich erwecken am Jüngsten Tag«, und schwieg.
    Die Trauergäste zuckten zusammen. Einige waren vom Feld zurückgekehrt und konnten sich an diese Art Lärm erinnern und nachher im Rosengarten vergleichen. Fast so laut wie damals.
    Strittmatter hatte sich nicht durchgesetzt, sondern das häßliche Wort Leichenhalle. Er meinte, als die unnötige Leichenhalle fertig war (zwei Tote im Jahr), die Leute sollten jetzt Totenkapelle dazu sagen.
    Ich sehe, wie ich auf Lisi zuging, um ihr das Weihwasser zu geben, als ich an der Reihe war.
    Mit der linken, meiner rechten Hand griff ich zum Tannenreiswedel und nahm ihn aus dem Weihwasserkessel. Der Weihwasserkessel hing an einer Eisenstange, die im aufgeworfenen Boden steckte, mit dem Lisi zugedeckt wurde, als die Leicht vorbei war. Ich tauchte den Zweig noch einmal ins Weihwasser. Das triefende Weihwasser verteilte ich in Kreuzform über Lisi, die schon im Boden lag. »Do leischd also«, werde ich gedacht haben. »So goats.« Ich konnte Lisi, an die ich mich erinnern konnte, seit ich mich erinnern kann, gut leiden.
    Ich nickte noch einmal vor Lisi, wie ich nickte, wenn ich an ihr mit dem Fahrrad vorbeifuhr, wenn sie im Garten stand, und machte ein Kreuzzeichen und wünschte ihr »Gut Nacht«.
    Dann wünschte ich Fritz und den Nächsten mein herzliches Beileid. Fritz und die Seinen stand mit einem Gesicht, das ich nicht kannte, mit dem Kopf nach unten, sah so nicht einmal bis zum Sarg. Im Südkurier stand der Satz »Von Beileidsbezeigungen am Grabe bitten wir Abstand zu nehmen« wie immer.
    Jeder, außer Strittmatter und seinen Ministranten, wünschte sein Beileid und ging dann noch zum eigenen Grab, zum Familiengrab. Wer zum Essen geladen war, ging in den Löwen.
    Zum Ende der Leicht von Lisi wurde noch das kleine Vaterunser gebetet, »für den, der als Nächster aus unserer Mitte scheiden wird«, stimmte Strittmatter an. In das Ave Maria stimmten die Gläubigen von selbst ein. Dann drehte sich Strittmatter mit seinen Ministranten um und verließ den Friedhof. Lisls Beerdigung war fertig.
    Lisi ruht nun auf der linken Seite des kleinen Friedhofs. Dort, wo die neuen Gräber sind.
    Auf den letzten alten Gräbern kann ich noch »Wiedersehn« lesen. Auf den neuen lese ich »Ruhe sanft« oder gar nichts.
    Es war eines unserer Kinderspiele, auszurechnen, in welchem Quadrat wir zu liegen kommen würden. Lisi hat nun Platz neben Leuten, die sie sich nicht ausgesucht

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