Einmal auf der Welt. Und dann so
sie meine Hand haben. Sie wollte noch aus meiner Hand lesen. Gib ihr die Hand, was weiß sie schon von deinem Leben und Muttermal!
Aber jetzt wollten plötzlich auch Rosa, Norma und Patricia aus der Hand gelesen haben und hatten beide Hände (sie wussten nicht, welche von beiden die rechte war) lesebereit auf die Theke gelegt, kaum dass die Wahrsagerin beim unvermeidlichen, von allen erwarteten Höhepunkt, der auch am Ende der Welt mit dem Wort »Amor« benannt war, angekommen schien. Was war mit der Liebe bei mir?
Die Lebenslinien waren bis hierher vorgedrungen.
Um das Wort »glücklich« herum angesiedelte Wörter, war das alles? Rosa genügte es. Sie wollte nichts anderes hören. Die Liebe war ein Glaube, der Berge versetzte. Ich zog meine Hand zurück, unterbrach das Lesen. Ich lächelte, sie um Entschuldigung bittend.
Da war das Fenster zur Straße hin, von ihm her erhoffte sie Leben. Die Musik, die aufladbaren Batterien, die Lastwagenfahrer. Sie lächelte, als ob sie einen fehlenden Zahn verbergen wollte. Richtig zu lächeln hatte sie den Mut nicht, aber das wenige von ihr war so viel wie ein schöner Tag, wie eine Sonne, die über Lebenden und Toten aufging.
Der gewöhnliche Gast blieb zwanzig Minuten. Gäste auf der Durchreise so gut wie nie.
Wir sagten auf Wiedersehen und waren bald wieder unterwegs mit den Wolken.
Ich atmete, ich lebte
Kaum hatten wir das Tal des Todes verlassen, schloss sie ihr Herz auf, sagte: »Die Liebe ist ein Glaube, der Berge nicht versetzt.« Ich atmete schwer, ich lebte.
Draußen muss man sich immer eine Steilwand von hundert Metern dazudenken. Am Fuß dieser Höhle lagen Pico Grande und ich, wir zwei. Das Innenleben der Schafe wurde den Geiern überlassen, die hier auch nur in der Mehrzahl auftraten, so wie die Verliebten und wir.
In der Höhle waren wir immer noch nicht gewesen. Oder soll ich es so sagen: Die Höhle hatte ich immer noch nicht gesehen.
Die Tage waren lang am Ende der Welt
Ich schaute wieder bei Fritz vorbei, die Tage waren lang am Ende der Welt.
Whisky? - Fritz hatte genauso viel gelesen wie meine Hauptfigur aus dem Nachsommer, die aus allem etwas zu machen wusste. Mein Risach verstand alles und half dem jungen Heinrich in allem.
Als ich auf Fritz stieß, las er gerade Gott im Krieg, das Buch des preußischen Pastors Remberti aus dem Ersten Weltkrieg. Er hatte die aktualisierte Ausgabe, die ohne viele Änderungen rechtzeitig zum Beginn des Unternehmens Barbarossa erschienen war. »Das war 1941!«, ließ er mich wissen. Er hasste das Buch, aber er musste es lesen.
An jenen herrlichen Nachsommernachmittagen saß der junge Heinrich beim alten Risach und wurde über alles belehrt, bekam alles in einer großartigen Weise von seinem Alten gesagt, wie es sich mit den Gewittern verhielt, mit den Rosen, mit den Nutzgärten, peruanischen Kakteen, Singvögeln, der Kunst des Zitherspiels und wie es sein soll und ist. Ich aber saß genauso alt wie Heinrich einem Alten gegenüber, der genauso alt wie der Freiherr von Risach war und ebenso viel wusste.
Fritz war vielleicht schon etwas verrückt, kein Wunder, ein Schicksal, das dem alten Risach zweifellos immer drohte und eingetroffen wäre, hätte er nur etwas länger gelebt. Schon seine Erzählung vom Jesuiten und dem Haifisch hatte Fritz aufleben lassen. Parabeln des Lebens: Seine Geschichten ließen ihn aufleben, sein Schmerz hielt ihn am Leben.
»Kann es sein, dass dieser Mann nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte?«, hätte Tante Mausi erst recht nach dieser Geschichte gefragt, als wollte sie höflich sein.
Denn jetzt folgte auch noch Gott im Krieg. Nachher wusste ich nicht mehr, was mit Gott im Krieg war, ob vom Pastor oder dem alten Fritz oder von wem sonst. Es war wie damals, als die Israeliten gegen den großen Pharao allein mit ihrem Gott waren. Da war niemand sonst, der sie herausführte oder auch herauszog. Moses kommandierte. Hinter ihm stand sein Gott mit dem großen Gewehr, und sie folgten. Die Bestie von Pharao wollte das kleine Volk nicht herausrücken. Aber Fritz war jetzt mit Gott im Krieg zum zweiten Mal auf Seite 370. Ein schreckliches Buch, gewiss, sagte er, aber nachher wusste ich nicht mehr, wer und wer alles gesprochen hatte, Gott im Krieg, der Pastor, Fritz in der Wüste, nun schon länger als die vierzig Jahre der Israeliten. So kam der Marschbefehl von oben. Keiner wusste, wohin es gehen würde. Es folgten vierzig Jahre in der Wüste!
Fritz schnappte nach
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