Einmal auf der Welt. Und dann so
wurde sie von mir angesehen und erachtet. Diese Person hatte Macht über mich. Sie kannte nichts von der Welt, aber sie kannte mich und stiftete mich zu einer Rettungstat an. Auf Mao kam ich selbst, ich entfaltete ihr meinen Plan, und sie gab mir auch gleich ihren Segen.
Ich hatte sein Bild gesehen, die olivgrüne Mütze, den roten Stern, das satanische Gegenzeichen meines heiligen Kreuzes. Ich hatte gesehen, wie er mit der Mao-Bibel vom Platz des Himmlischen Friedens herunterwinkte und lästerte. Die erste Stufe meines Heilsplans war die Beschaffung der Mao-Bibel. Lesen konnte ich schon, aber in einer Buchhandlung war ich nie gewesen.
Das Unternehmen musste geheim sein und bleiben, eine versteckte Aktion nach allen Seiten hin. Ich konnte nicht einfach nach Meßkirch fahren, wo es in einem Geschäft neben Eiskrem und Zeitungen auch Bücher zu kaufen gab. Mit dem Schienenbus erreichte ich die Universitätsstadt Konstanz, am Lago di Cotanza, sagte ich, unerkannt und unbeobachtet, um die Mao-Bibel zu kaufen.
Und dann sollte ich Rosa Universitätsstadt erklären! »Studieren, Bücher lesen, viel Sex ...« Mit dem Schienenbus, meinem Pferd, verstehst du.
Währenddessen betete ich den Rosenkranz. Mein Heilsprogramm war ja von einem ausgeklügelten, von der Nonne abgesegneten Gebets- und Fastenzyklus begleitet, ich verschwieg Rosa die heute auch mir unverständlichen Einzelheiten, die wenig später noch überboten wurden durch meine Zeit in Rom.
Im Schienenbus betete ich jedenfalls den Rosenkranz. Die bösen Elemente mussten unten gehalten werden, dazu gab es den Rosenkranz, der mich auf dieser nach dem Prinzip der Wallfahrt organisierten Reise nach Konstanz begleitete.
Nicht erst von meiner Nonne und anderen geistlichen Leithammeln angestachelt, war ich früh, wahrscheinlich vor dem ersten Erscheinen meiner Erinnerung, in diese Via Regia des Gebets eingewiesen worden. Ich betete abwechselnd den Freudenreichen, den Glorreichen und den Schmerzensreichen, der als König der Rosenkränze gilt. Einen Rosenkranz, still vor mich hin geleiert, schaffte ich in fünfzehn Minuten. Es war nicht verboten, dabei zum Fenster hinauszuschauen, der Rosenkranz war auch so gültig, nach katholischem Weltbild.
Man sagt doch beim Baby »füttern« wie bei Tieren?, warf Rosa ein. »Fittern« sagte sie, das war der Akzent ihres Vaters.
Ich besann mich auf füttern. Erinnerte mich an keine einzige meiner Fütterungen. Ich muss doch gefüttert worden sein, gewaschen, gewickelt - nicht die Spur einer Erinnerung. Warum habe ich mein Leben vergessen? Füttern, das Kind füttern, gefüttert werden mit Kreuzzeichen, ersten Kindergebeten, Weihwasser. Windeln wechseln, Erbsünden abwaschen, taufen. Füttern, das Kind füttern, die Schweine.
Der gültig gebetete Schmerzhafte Rosenkranz war eine Sache von fünfzehn Minuten, die arme Seelen aus dem Fegefeuer zog, an diesem Gebetsseil herauszog, so dick wie das Seil, an dem ich hing, dem Glockenseil. Die Kirchenglocken hatten Macht über mich, zogen mich vom Boden weg in die Höhe, zogen mich vom Boden unter den Füßen weg. Das alles ist nur eine Erinnerung, Rosa, an eine Zeit, da die Erinnerung noch eine Zukunft hatte.
Bei Gloria Patri verneigte ich mich tief, kniete auf dem Schienenbusgang, gleichgültig, was die Welt an diesem Tag von mir denken mochte, die Welt draußen, die Berufsschüler, die mit ihrem Gelächter in eine andere Richtung fuhren als ich. Ich sah die Welt, wie sie über mich lachte, aber das gehörte zum Heilsplan, der besagte, dass der Gerechte viel leiden muss. War ich nicht gerettet, hatte mich mein Engel nicht aus der Welt, dem Schmutz, dem Meer herausgefischt? Ein Kind sollte die Welt retten. Wer war mehr Kind als ich? Ich hatte mich längst in meinen Glauben hineingefressen, Rosa. In einer Vision sah ich mich schon auf dem Platz des Himmlischen Friedens, Mao mit der Taufkerze neben mir, ich als sein Pate die Taufformel sprechend, ich, fragend: »Widersagst du dem Satan?« Er antwortend: »Ich widersage«, mitten in China, alles auf Chinesisch. Und dann in Rom mein Triumph: Ich hätte vor den Heiligen Vater hinfallen und ihm die Füße küssen dürfen, zum Beweis, dass Gott durch mich Großes getan hatte.
Mit dem Schmerzhaften Rosenkranz ging ich auf die Stadtmitte zu, den Schatten, über den ich springen musste. An schauerlichen Läden vorbei, mit mir nie zu Gesicht gekommenen Nebenräumen und Hinterzimmern, an denen zur Straße hin »Ehehygiene« stand. Ehehygiene,
Weitere Kostenlose Bücher