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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Ausflug, ganz stumm, ganz ohne Gelächter. Ich hätte abermals auf den Fisch zurückgreifen müssen, dieses Fleisch, dieses von meinem Fleisch entfernteste Leben, das nicht schreit, das du abstechen kannst und aufspießen, und es bleibt stumm wie ein Fisch.
    Verklebtes Haar, die Augen flüchteten sich in die Araukarien vor dem Autofenster, und dann fuhren wir schon wieder zurück.
     
Nach dem Fest
     
    Wir saßen zunächst auf einem Fest, nicht irgendeinem, ich feierte meinen Geburtstag, es war, glaube ich, mein einundzwanzigster Geburtstag, und nun waren, wie zu Hause an Silvester, bunt zusammengewürfelte Leute um mich, die sich das Jahr über gar nicht sahen, und vielleicht überhaupt noch nie gesehen hatten, und umarmten sich mit Sekt und wünschten sich ein gutes neues Jahr. Und in der Bar El Bolson versuchten sie nun Happy Birthäay zu singen. Und es gab auch etwas zu trinken, sonnengeschwängerten Mendoza.
    Es war ganz wie zu Hause, ich konnte es nicht verhindern.
    Wir Menschen und Tiere, Rosas Hund, alle, die sich ungeregelt vermehrt hatten, saßen schon wieder bei Wein und Gelächter zusammen. Dabei hätte es doch gar nichts zu lachen gegeben.
    Einer von den Gästen konnte zaubern, nebenher Witze erzählen oder umgekehrt, und der Mensch lachte.
    Richtig gelacht wurde aber erst, als zum ersten Mal das Wort »ficken« fiel. Ein aufgekratztes, Empörung spielendes Gelächter auf der Frauenseite war es, kaum dass das erste Glas getrunken und dieses Wort aus irgendeinem Mund herausgeflutscht war.
    Rosa beobachtete mich am genauesten, während sie am lautesten mitlachte.
    Doch ich konnte darüber nicht lachen, ich war elektrisiert. Meine Ekstasen waren nie mit einem Gelächter verbunden.
    In unseren Bäsle-Briefen, den Bäsle-Briefen, in denen ich ihr, meiner Cousine und Brieffreundin, von meinen Hobbys berichtet hatte (wobei ich das wichtigste, im Lauf der Jahre entscheidende Bedeutung gewinnende vorschwiegen hatte), war es niemals zu einer Doppeldeutigkeit gekommen. Ich konnte nicht wissen, wie Rosa im Leben war, ich wusste nur, wie sie in den Briefen war. Ich kannte ihre Stimme noch nicht, ihre schönen Oberarme. Aber die richtigen Bäsle-Briefe hatte ich auch im Reisegepäck. Nachdem ich ihr schönes Gesicht zum ersten Mal gesehen hatte, live, und zum allerersten Mal ihren schönen Arsch, ihr Gebirge, das anderswo eine Kapitalanlage gewesen wäre, das mir nicht einmal als Fotografie bekannt gewesen war, bekam ich Angst vor ihr, ihren Händen und Füßen, selbst ihren Sandalen mit den darin eingezwängten, nachlässig, aber rotviolett lackierten Zehennägeln. Ich gebe es zu.
    »Ficken« - sie lachte von ganz unten her.
    Die Bäsle-Briefe, die richtigen, die ich (als Simultanübersetzer und im Groben) vorlesen wollte, wies sie von sich, wollte sie nicht hören. Schon als bei Mozart das erste Mal das Wort »scheißen« fiel, brach sie ab: Lass mich mit den Bäsle-Briefen in Ruh! Sie lachte bei »ficken«. Hatte sie niemals eine Erscheinung gehabt, hatte sie nie gesehen, dass dabei die Nacht nicht mehr so dunkel war? Und ich?
    Warum lachte ich nicht?
    Eine Erscheinung ... Niemals hatte die Madonna gelacht, wo immer sie erschien. Und Jesus selbst, damals noch meine letzte Instanz, hatte man nie lachen sehen. In der ganzen Bibel stand davon kein Wort.
    Und so hatte es mir auf meinem Fest den Atem verschlagen, als ich sah, dass es ihnen nicht den Atem verschlagen hatte, dass sie das Gegenteil davon taten: Sie lachten, als sie das Wort »ficken« hörten.
    Genug davon. »Ficken«, kein schönes Wort, aber schön, zum Zittern? Und an dieser Stelle stieß ich abermals auf das Tal des Todes.
    Zurück zu den Gästen!
    An den Tischen streunten die Blicke noch.
    Jeder wurde von der Liebe hingehalten. Er hatte sich Lust angetrunken. Jeder Tag war Vatertag.
    Es war Sommer. Im Fernsehen, das es erst seit kurzem gab, und nun schon die ganze Zeit nebenherlief, Cantus firmus einer weltweiten Langeweile, sah man dazu Badehosen.
    In Pico Grande war es zu kalt fürs Wasser.
    Die schwarzen Schwäne kamen von Norden her.
    Man konnte sie abschießen und liegen lassen.
    Ein Sommervergnügen.
    Der Sommer, ein Handstreich des Himmels.
    Die Menschen lebten auf, wuchsen über sich hinaus. Die Festsitzenden wurden grün vor Hoffnung.
    Anfang Dezember dann die Rosenblüte.
    Die patagonische Rose, eine wilde, eine gelbe Erscheinung.
    So kamen mir Gedankenfetzen und halbe Verse in den Sinn.
    Kam ein Gast, wurde er herumgereicht so wie ich.

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