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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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durchschaut, dachte ich. Die unglückliche Figur an der Angel wurde nun von der unglücklichen Figur am Teetisch abgelöst. Unglückliche Figuren, die sich der Reihe nach herausstellten. Kam ich nicht schon ganz allein hier an, reiste ich nicht ganz allein durch die Welt, nicht einmal mit einem Hund unterwegs?
    Aber sie dachte vielleicht gar nicht so weit, wie meine Angst reichte. Sie kam mit Wünschen auf mich zu, fragte nach den Burda Moden, dem Spiegel oder sonst einer Illustrierten, fragte nach aufladbaren Batterien. Stellten sie nicht über Drähte und Blech die Verbindung zur Welt her? Mario war hinausgegangen.
    »Gehen wir bald wieder einmal fischen.« Es bedeutete das Gegenteil einer Frage. Ich atmete auf, suchte erleichtert nach ein paar Worten Russisch. Schon mein bald abgebrochener Russischkurs hatte mit einem Satz zum Radio begonnen: »Baris slusched radio« (Boris hört Radio). Sie wiederholte und verbesserte mich. Der Satz klang wie ein hohles Fass.
    Ich hatte es noch nicht aufgegeben, nach meinem Onkel zu fragen. »Onkel war lieber Mensch, doch für Medizin zu spät. - Ich merkte nur, dass Don Antonio am kommenden Mittwoch nicht zum Tee kam.« Sagte sie.
    Das Leben in der Fremde verband sie. Doch irgendwie vernahm ich, dass es eine andere Fremde war.
    Beide waren in Chatwins erstem Buch gelandet, als wären sie zwei von jenen schrägen Menschen gewesen, mehr Wracks als sonst etwas, die ich später an der Magellanstraße sah, die seine Welt bevölkerten; ich hatte bisher, in meinen wenigen Tagen, schon viel gesehen, nur solche Menschen nicht wie jenen irischen Missionar, der ein Leben lang in Neusüdwales am Meer saß, abwechselnd betend und schnorchelnd - oder beides zugleich? Und dann in Chatwins Buch gelandet war, und da saß er nun, verwandt mit allen schrägen Menschen, die irgendwo auf der Welt schräg auf ihrem Stuhl herumsaßen, als hätten sie auf nichts anderes gewartet als auf Chatwin.
     
    Wenig später saß ich auf demselben Küchenstuhl wie Chatwin in Don Antonios verlassener Küche und sah durch dasselbe Fenster zum Friedhofshügel hin.
    Und beim Lesen dachte ich, er habe meinen Onkel mit einem anderen Onkel verwechselt und die Doctora mit einer anderen, vielleicht mit Nadeschda Mandelstam. Dass er vielleicht seine Erinnerung durcheinandergebracht habe.
    Oder vielleicht der Verlag seine Seiten.
    Bald war Chatwin tot wie Nadeschda (»Hoffnung!«) Mandelstam, die damals noch vor seinen Augen mit ihren Brüsten spielte. Tot wie die Mandelstam - Kann man das sagen? Ist das ein Beweis? Tot wie mein Antonio, »tot wie immer«, sagte ein Philosoph, tot wie immer, ist das deutsch?
     
    Die Doctora war böse, als ich ihr mit diesem Engländer kam. Ganz Patagonien war böse auf Chatwin. »Wir sind doch auch Menschen!«, sagte sie. »Aber Fritz hat er nicht entdeckt! Seinen Braque hat er nicht gesehen. Dabei kam er doch von der Kunst!«
    In Patagonien durfte ich Chatwins Namen nicht nennen.
    Die Doctora erzählte mir, wie mein Onkel ihm von Wilson und Evans erzählte, den Banditen, damals in ganz Amerika gesucht und wenig später auf »unserem« Grundstück, dachte ich schon, begraben. Das Grab habe er ihm freilich nicht gezeigt. Chatwin hat einfach die Stelle fotografiert, wo ihr Onkel seinen Lieblingshund bestattete! Und das Bild kam als Banditengrab in sein Buch. »Bueno«, sagte sie.
    »Wir sind doch auch Menschen!«, sagte sie.
     
    Ich stieß auf das Tal des Todes
     
    Das Tal des Todes war in meiner Karte grün verzeichnet, hart an den braun und weiß vermerkten Flächen, die den ewigen Schnee anzeigen sollten.
    Mein schon zu Hause auf der großen Karte ausgemachtes Tal lag nur ein paar Meter über NN. Immer, wenn ich irgendwo war, schon zu Hause, wollte ich sehen, wie das auf der Karte aussah, wo ich war, und im Flugzeug, das einen Monitor hatte, ließ ich mir immer auch noch einmal zeigen, wo es war, wo wir gerade waren, wenn ich zum Fenster hinausschaute.
    Kurze Begründung: ich suche ... Das Tal des Todes war ein Seitental von Pico Grande, und ich sagte ihr von meinem Befund nichts, und sie meinte, es wäre eine Traurigkeit um mich, wenn es war, was es war.
    Sie wollte eigentlich nicht hin. Was gibt es da schon zu sehen, meinte sie. Nur weil es mein Herzenswunsch war, verschaffte mir Rosa eine Gelegenheit, in mein Tal zu kommen, dessen Name jeden, der am Leben war, abschreckte. Zu Fuß war es zu weit.
    Ich, ohne Fahrzeug, war also auf ihre Hilfe angewiesen, und dann machten wir doch einen

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