Einmal auf der Welt. Und dann so
Brach ein Puma ein, sah ihn außer dem Opfer niemand. Das nicht richtig abgenagte Bein, zum Zeichen, dass der Hunger nicht so groß war.
Das Ende der Welt war eine Redensart
Von Pico Grande aus machten wir uns vorerst nach Rio Mayo auf, das in der ganzen Gegend als das Ende der Welt galt. Das wusste ich schon aus den Briefen, in denen ich (ein Kindskopf) nach Sehenswürdigkeiten der Gegend gefragt hatte. Das Ende der Welt - gewiss nur eine Redensart, denn hinter Rio Mayo ging es noch weiter, da waren noch Berge, Kondore, Schnee, schließlich Wind und Wolken. Sie waren zusammen mit dem Wind schon da, als wir wegfuhren. Der Wind legt sich gegen Abend vielleicht, nicht so schön wie das Abendrot, aber beständiger. Weitertreiben, dachte ich, vom Mitmenschen zum Yeti, ein schönes Bett finden, im Schnee, von ihm sich wärmen lassen.
Rosa, Patricia und Norma und ich, wir vier, darüber unser Himmel und seine Wolken. Die Straßenpiste, übertönt vom Kassettenrecorder und seinen wechselnden Kassetten, die alle auf die Liebe hinausliefen, ein milchgrüner See, ausgetrocknete und austrocknende Gerippe, Stunden um Stunden, dann schließlich das unspektakuläre Ziel, zuerst am Horizont, endlich - es mochte noch einmal eine Stunde vergangen sein -, aus nächster Nähe, die einzige Bar von Rio Mayo, zum Weinen.
Da - eine Dicke, der die zwei wichtigsten Zähne des Lebens fehlten, die sogenannten vorderen Schneidezähne, meine mitgereisten Frauen lachten. Schlimm sah es aus, aber nicht so gefährlich wie meinesgleichen mit seinem vollständigen Gebiss. Ein Teil ihrer Haare war auch verloren, der andere hing fettig und verstört in der Landschaft. Sie saß auf einem Eisenstuhl am Fenster, stierte von uns weg und zu uns her.
Sie wusste, dass das mitgebrachte Gelächter ihr galt, wem sonst. Es war wohl nicht das erste Mal, sie wehrte sich nicht.
Ich wollte in diesem Augenblick (das einzige Mal in meinem Leben) Zahnarzt sein, ein einfacher Zahnarzt, nichts als Zahnarzt, mit meinem Zahnbesteck zu ihr hingehen und sie bitten, den Mund zu öffnen. Während ich mit meinem Besteck und dem Spiegelchen, hätte sie mir ihr Leben - Doch das Einzige, was ich tun konnte, war dagegenlächeln, das Gekicher meiner Cousinen unschädlich machen, verflüssigen, die Salzsäure neutralisieren.
War sie nur Gast in der Bar, die auch noch einen Namen hatte und Las Plumas hieß? Wir standen schon eine ganze Zeit an der Theke, die Dicke (mein Oberbegriff, ich hätte auch die Fettige oder die Schneidezahnlose oder die Verlorene sagen können, sagen müssen) saß auf dem Eisenstuhl, sonst nur Männer.
Da trat durch einen Plastikvorhang diese Frau und errötete, als sie uns sah. Macht nichts, wir sind nur auf der Durchreise. Die Reisenden fragten nach Coca-Cola, um ihr das Leben nicht so schwerzumachen. Cola gibt es nicht. Am Ende der Welt verschlug es einer schönen Frau die Sprache, weil sie kein Coca-Cola im Haus hatte. Macht nichts, macht wirklich nichts. Sie wollte auf der Stelle tot umfallen, aber es ging nicht. Die Scham (darüber, dass ihr Leben so war, wie es war, ihre Selbsterkenntnis) schwappte in Wellen über den Raum hinweg und erreichte selbst noch die Dicke, von da die Unendlichkeit.
Die Cousinen hatten längst ihr Gelächter eingestellt. Sie standen nur etwas künstlich auf ihren Stöckelschuhen, so, als ob sie zeigen müssten, wie es ist, wenn man von der Stadt aufs Land fährt.
Wozu also Mut zum Leben?
Ich sah bald, dass sie jedes Mal errötete, auch wenn nur ein Hund zur Schwingtür hereinkam. Kaffee, Bier und Ginger Ale -alles war möglich. Die Männer um sie herum waren alle schon in der Welt, beim Militär, im Provinzgefängnis. Ihnen fehlte alles, aber in der Welt waren sie schon und hatten jenen Vorsprung, der das arme Mädchen zum Erröten brachte, dachte ich. Sie muss hierbleiben und verblühen.
Ihr Wandertrieb reicht von der Küche zum Bett. Dazwischen der Tag hinter der Theke und einer weiteren Schwingtür. Zwischen Schwingtüren. Fahren wir weiter?
Doch inzwischen hatte sie sich gefangen, hatte sich gefangen und uns nach dem Woher und dem Wohin gefragt. Aus Pico Grande - Ach, sie war noch nie in Pico Grande. Ihr größter Wunsch, von dem ich erfuhr, war, einmal im Leben nach Pico Grande zu kommen.
Sie hatte von der Höhle gehört und den anderen Sehenswürdigkeiten, von denen ihre Lastwagenfahrer zurückkamen. Und dann, als die Cousinen schon hinausdrängten (sie wollten die Zeit nicht verschenken), wollte
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