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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Himmel herunter. Meinen ärgsten Feind hätte ich nicht in diesen Regen hinausgeschickt.
    Verstehst du? Ich konnte meine Hand nicht heben, so schwer war mir alles. Im Taschentuch Klexogramme aus Schweiß und Sperma, Schweiß, der bald zerfließt, vertrocknendes Sperma. Ihre Oboen-da-caccia-Stimme zuzeiten, die Erinnerung an erste Orgasmen gar nicht lange her, und jetzt diese Ebenerdigkeit. Noch auf dem Boden.
     
    Wenig später waren wir schon wieder auf den Beinen und aufrecht im Leben. Das Essen ging weiter, musste zubereitet werden. Ein Stück Hammel hing bratfertig an seinem Haken.
    Das Gewöhnliche musste es sein, an das wir uns halten konnten, alles, was das Leben einfach und sicher machte, nur keine Ausnahmen!
    Wir klammerten uns an das Leben an seinen gewöhnlichsten Stellen. Der Hammel, wenn er knusprig gemacht ist. Der eine sagte, was alles dazugehört, die andere, wie man es macht. Die Nacherzählung bis zu der Stelle, wo er auf den Tisch gestellt wurde, füllte das Leben und gab ihm Sinn.
     
    Schon nach einer Woche war es fast schon zu Ende. Denn ihr Mann und Liebhaber war von seiner Lastwagentour für drei Tage zurückgekehrt.
    Und alles, was bisher gewesen war, hatte in einer Woche und fünfzig Seiten Platz gehabt oder überhaupt nicht.
    Ich schlich um ihr Holzhaus herum wie ein Stalker, der noch nicht zur Einhaltung der Sperrmeile, »nicht näher als tausend Meter«, gerichtlich verurteilt ist.
    Es war für patagonische Verhältnisse fast heiß, und ich stand mit freiem Oberkörper an ihrer Tür: das bin ich. Schau her! Ich war an jener Stelle vis-á-vis im Gebüsch von Fritz, an der Stelle, wo sie mich sehen konnte, auf einmal Exibitionist und Voyeur. Ich sah, wie sie mich sah.
    Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und schlug das Fenster zu. Was willst du?
    Auf dem Diwan lag er und schlief den Rausch aus.
     
    Ich war keine Führernatur. Ich konnte diese Menschen nicht an mich reißen und nicht an mich binden.
    Und was war mit ihr? Ich musste schon auf ihr liegen, doch selbst da war sie bald ganz weit weg.
    Drinnen schon wieder ein Gelächter zwischen bellendem Hund und betrunkener Frau.
    Ich wartete nur darauf, dass eine Tür zugeschlagen würde, nur auf ein Lebenszeichen.
    Ich hing an ihr. Mit dem Recht des kopflos Verliebten blieb ich stehen.
    An den sonderbarsten Stellen schlug mein Herz: hinter den Ohren, in den Nasenflügeln.
    Das ist alles nur eine Erinnerung.
    Die Liebe war ein Glaube, der Berge nicht versetzte.
    Ich atmete, ich lebte.
     
Es wäre nun nicht mehr weitergegangen, wenn es so weitergegangen wäre
     
    Dachte ich. Es muss Whisky her, das wäre doch gelacht, auf meinem Weg nach Mandelay! Am anderen Morgen fuhr ich mit Mario zu Frau Madefsky.
    Ich entdeckte sie, ihr kleines Backsteinhaus, das sie zusammen mit ihrem Mann am Ortseingang des sechzig Kilometer entfernten Nachbarortes Gobernador Costa gebaut hatte, als wären sie hier zu Hause.
    Da ist es! Und Mario nahm die eine Hand vom Lenkrad und zeigte auf das Haus. Noch ein Ausflug.
    Dieses Mal fuhr ich mit Mario, denn Rosas Liebhaber war immer noch da, auch wäre sie gar nicht zu Frau Madefsky gefahren, die noch weniger Spanisch konnte als ich, das wusste ich, der jede Gelegenheit wahrnahm, etwas zu sehen, was zu Fuß oder zu Pferde nicht möglich war, von ihr.
    Ich wusste nicht, ob sie ein gewöhnlicher Flüchtling oder eine Vertriebene war. Dabei glaubte sie, zu den Auswanderern zu gehören, denn irgendeine Heimat musste der Mensch haben, und wäre es jener Küchentisch mit der Plastikdecke drauf, und der Eckbank, von der aus ich lesen konnte, was sie sich selbst ausgesucht oder geschenkt bekommen hatte. »Seitdem ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere«, las ich, eingerahmt in ein Arrangement aus Rosen, ja, der Rahmen war ein Kranz geflochtener Plastikrosen, und eine Kuckucksuhr entdeckte ich auch noch, noch so ein Geschenk, das sie an die schwarzen Wälder erinnern konnte, an den Schwarzwald, dabei kam sie aus Ostpreußen, »Zur steten Erinnerung!«. Ein Geweih, allerdings nur ein Zwei-Ender, ging vom Neun- und Drei-Uhr-Zeichen im rechten Winkel ab, und dann noch eines vom Zwölfer und Sechser, und bildete so ein Kreuz, doch den Glauben hatte sie ziemlich verloren, kein Wunder.
    Es war alles ganz wie zu Hause, und bald saß ich am Küchentisch, als gehörte ich dazu.
    Während Mario seine kleinen Besorgungen machte, sollte ich mit Frau Madefsky etwas plaudern, das Neueste von zu Hause erzählen, meinten die

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