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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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wach
    Für alle Dinge die von außen sind versagt es
    halb den Dienst halb ist es schwach
    nur scheinbar sieht's
    tatsächlich ist es blind
    erfüllt von dir nur und von nichts
    begnügt«
     
    Jetzt lag sie offen. Er fern neben ihr. Von der Pampa kam: der Nachtwind. Nur die Toten schliefen, sie aber musste wach liegen. Es roch nach gelber Scheiße. Schon bald, nachdem sie zu ihm gelegt worden war, roch es nach gelber Scheiße. Seine Lebenszeichen vermischten sich mit den Laken. Ihr geliebter Mensch machte ins selbe Bett, in dem sie lag. Diese Wahrheit war mit der Zeit zur einzigen, zur unumstößlichen Grundlage ihrer gemeinsamen Existenz geworden, zu einer Art Mittelpunkt ihrer Beziehungen. Nur wenn er sehr betrunken war, schlug und vergewaltigte und liebte er sie. Die paar Ohrfeigen nahm sie in Kauf.
    Die kleinen Tiere sind überall. Der Schmerz beginnt schon lange, bevor er sichtbar wird. Das Blut schimmert schwarz hinter der dünnen Haut dieser Untierchen. Der Schmerz ist farblos.
    Hinter dem Pueblo die kleine Lagune mit den rosaroten Flamingos, deren Fleisch nicht schmeckt, bitteres Flamingofleisch, klares, kaltes Wasser.
    Der zerzauste Himmel schön anzusehen, aber zu weit weg.
    Am Morgen sitzt er auf seiner Kartoffelkiste und schlürft Mate, nachmittags will er seinen Kaffee, abends seine Ruhe.
    Ihr Leben drehte sich vor Schmerz im Kreis. Er, der eine, hielt sie, die andere, am Leben.
    Ich brenne, hätte sie gesagt, hätte sie einer gefragt, wie es ihr gehe.
     
    Schrecklich, dachte ich, ein Wort aus der Alltagssprache, das seit hundert Jahren nicht aus der Mode gekommen war
     
    Auch wenn ein offizieller Besuch kam, war es ganz wie zu Hause. Reiste der Provinzkommandant an, stellten sich die wichtigsten Männer von Pico Grande an der Plaza Mayor auf und hatten eine dicke blau-weiße Schärpe um den Bauch gebunden. Die Schulkinder sangen die Nationalhymne wie jeden Morgen, nur vielleicht etwas frischer, und steckten tief in ihren Uniformen, weiß-blaue Ebenbilder waren sie. Der Polizeichef überreichte der Frau des Provinzkommandanten, die mich an Jovanca Broz-Tito erinnerte, ein Gebinde rot-weißer Nelken und verhaspelte sich bei der Übergabe, ganz wie zu Hause. Auch das Gelächter. Keiner weiß, woher die schönen Blumen kommen.
     
Im Holzhaus war es schön warm
     
    Fritz lag auf seinem Diwan. Man ließ ihm seine Knaben, die Fotos und die Hefte. Sie wurden ihm sogar ins Haus geschickt, zu fragen, was er nötig habe, Vorwände waren es nur. Dann zeigte er auf den Zettel auf dem Esstisch. Der Junge las vor sich hin, leicht über den Tisch gebeugt, viereckig, grobschlächtig, ein Gesicht wie ein Leuchtfeuer, so ungeschickt wie reizend. Seine Augen arbeiteten. Geh zum Schrank, nimm dir einen Schein, nein, da, im obersten Fach. Der Junge war verlegen, aber das Geld nahm er doch. Magst du dich nicht setzen? Nicht in allen Holzhäusern war es so gemütlich. Da hingen Felle an der Wand von überallher, auch einheimische Felle, Vizcaja, klein, wenig bekannt und böse, zu einer Felllandschaft zusammengenäht aus Hunderten, ein Jaguar in Katzengröße, aber auch ein richtiger Puma, die Umrisse des Kopfes hingen von der Wand herunter, während das Fell selbst fest an die Wand genagelt war. Ein schönes Tier.
    Eine Zeit lang lebte er deswegen ja im Provinzgefängnis. Ein einziges Mal fiel ein Stein durchs Fenster und traf ihn. Damals war es ein kleiner Wanderarbeiter, der hinüberrannte ins Hospital Rural, und Mario und Meier hievten den schweren Körper auf eine Bahre, während der Kleine zu erklären versuchte, wie alles gekommen war. Ein kleiner Wanderarbeiter, sie tranken zusammen einen Brandy. Im Sommer half er im Hochwald, im Herbst half er in Mendoza bei der Weinernte, ein Wanderarbeiter auf dem Diwan mit Fritz.
    Über dem Diwan die Ostseelandschaft, von der Schwester mit der Post geschickt, mit dem Schiff und seither hier an der Wand, ein unerkannter Stellvertreter von zu Hause.
    Nun ja, ein kleiner Selbstmordversuch. In christlichen Zeiten tödlich, da nahm der Henker das Hackbeil, das der Priester zuvor gesegnet hatte, und schlug dem Verbrecher den Kopf ab. Jetzt glich die Geschichte nur noch der Beschreibung der Nähe des Geliebten, der tot neben ihm auf dem Boden lag. Seinem Leben, die mitgeschleppten Selbstmordversuche mitgerechnet, die überstürzte Flucht per Schiff, die Stelle im Garten, wo er aufgeschlagen war und beide Beine gebrochen hatte. Neben der Erinnerung an die Bezahlung von Lebensrettung

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