Einmal auf der Welt. Und dann so
etwas Ähnliches gesehen wie diese Anden, vorausgesetzt, er hätte Augen für so etwas gehabt.
Und nichts half, kein Dokumentarfilm, keine Fotostrecke und kein Roadmovie, und keine Erinnerung, um dieses Patagonien wiederzugeben, das war alles nichts gegen die Augen, die ich damals hatte, mit denen ich sehen konnte, was ich sah.
Im Verlauf dieser sechs Stunden in seinem (Doctoras) Falcon, einem in Amerika produzierten und in Europa völlig unbekannten Wagen, der für ihn zweifellos mehr wert war als wir alle zusammen, kamen von Meiers Seite mehrere halbseidene und ganz seidenlose Witze, die wir nicht hören wollten, die jeweils in seinem Glaubensbekenntnis mündeten: Scheiße schwimmt oben.
Wir lachten, gequält. Als wäre es eingeblendet. So wie einer, der lachen muss, dessen natürlicher Lachvorrat schon erschöpft ist, lachte ich.
Unberufen und zufällig wurde ich mit dem Sinn des Universums, meinem Sternzeichen, den Prognosen hinsichtlich des Sommers und mit dem wahrscheinlichen Verlauf und Ende des Fußballspiels und der Welt konfrontiert; sowie mit dem Eindruck, den die letzte Südamerikareise des Papstes auf ihn gemacht hatte.
Auch über das Essen, die Vorzüge der patagonischen Küche allen anderen Küchen gegenüber, die er freilich nur vom Hörensagen her kannte, wusste er Bescheid. Meier bewies nun mit Händen und Mienenspiel, dass speziell die Küche von Pico Grande so reich sei, weil sie die Vorzüge aller europäischen, dazu der amerikanischen und der bodenständigen Indianerküche in sich vereinige. Ein Argument, das ich auch schon aus den Vereinigten Staaten von Amerika in Bezug auf die dortige Küche gehört hatte; und zwar wiederholt. Die Indianerküche ...
Früher sei der Asado allerdings noch um ein paar Brocken Menschenfleisch angereichert, verfeinert worden. Das schmecke heute niemandem mehr, und er erwartete von mir abermals ein kurzes, anerkennendes Auflachen. Ich hatte ganz andere Erfahrungen gemacht, was die Küche von Pico Grande anging. Mag sein, dass sie einmal gut war, die Indianerküche, eine Nomadenküche bei nie ausgehendem Feuer unter offenem Himmel (daher Feuerland), aber das Fleisch wurde doch roh gegessen oder verschlungen. Es gibt davon keinen Film.
Ich fotografierte alles: namentlich die Asados und Grillfeuer, und die diversen Verwandten mit dem Stück Hammel in der Hand mir zu Ehren sind reich dokumentiert. Mich erinnerten diese Fotos von fleischfressenden Schlünden aus Fleisch, das von meinem Fleisch war, an Buddha, den ja schon der Anblick einer schlafenden (wohl auch schnarchenden) Frau dermaßen schreckte, dass er für immer für diese Welt verloren war.
Meine Fotos von den Fleischabenden mir zu Ehren würden die zu Hause gebliebene Verwandtschaft, eine weitverzweigte Familie, meine Ferkelhändlerdynastie, aus der mit Recht schon einige Vegetarier hervorgegangen sind, so sehr schrecken, dass sie alle glücklich wären, nicht ausgewandert zu sein und von diesen Verwandten möglichst weit weg zu wohnen.
Vielleicht hätten auch den einen und die andere die Gesichter selbst geschreckt, die jungen wie die alten, Rosas Gesichtsausdruck beim Wenden des Fleisches von der gegrillten auf die rohe Seite mit der eigenen Hand, wie sie an das Fleisch heranging, ohne sich die Finger zu verbrennen. Dabei hätten sie ja niemals ihre Stimme hören müssen, wie sie »carne« oder »sangre« sagte.
Schon nach drei Wochen in Pico Grande konnte ich mich nicht mehr aufrecht aufs Pferd setzen, mein Pferd, das ich gleich nach dem ersten Ausritt Argentino getauft hatte. Gemüse gab es gar nicht, alle Vitamine fehlten. Man lebte von Fleisch, Blut und Rotwein.
Nun gut, Meier war auch längst bei den Problemen der Überbevölkerung und beim damals bevorstehenden Malvinaskrieg, bei der Jungfrauengeburt und beim Tod auf Verlangen. Künstliche Hüftgelenke wurden in Buenos Aires schon jahrelang eingebaut, und Schönheitsoperationen, dass Europa dagegen alt aussah, wurden durchgeführt, sagte er mir, zur Auflockerung der Nachrichten aus aller Welt. Auch die künstliche Befruchtung, der allergische Schnupfen und die Entdeckung des Ozonlochs waren schon zu Meier vorgedrungen - was eben so gesprochen wird unterwegs.
Der Regen draußen und die Geräusche des Scheibenwischers beanspruchten mich ebenfalls. Man sah zwar so gut wie gar nichts mehr, fast wie auf Blindflug, aber wir fuhren ohne Irritation weiter Richtung Norden. Während seiner Ausführungen saß Meier in einer Haltung am Steuer, die
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