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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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verriet, wie sehr er in Fahrt war, wie sehr ihn alles beflügelte. Die Körperhaltung eines kleinen Mannes, der sich nach oben ausstreckt, in die Regionen seines leicht gepuderten argentinischen Weltbildes.
    Zu allem kamen seine schwarz-weißen Lackschuhe, mit denen er die unteren Armaturen in aller Eleganz bediente. Auch sein Spanisch kam mir sehr gewählt vor. Jedenfalls ließ er Worte fallen, die ich vor Ort nie gehört hatte. Vielleicht sprach er etwas gekünstelt, mag sein. Er fühlte sich, glaube ich, mir gegenüber nicht nur als Repräsentant Argentiniens, sondern auch des männlichen Geschlechts. Er war außerdem ein begeisterter Anhänger seiner Mannschaft (vergaß welche), vom Fußball an sich, von gutem Essen, der Frauen und vom Wein, des Freiheitsgedankens der westlichen Welt und der Todesstrafe.
    Saß ein Betrunkener am Steuer?
    Und dann: Die Kapelle hatte sich zum Abspielen der Nationalhymnen mitten auf den Platz gestellt.
    Fritz nestelte ungeduldig in seiner Hosentasche. Da - die Hymne. Und wie! Schon die Flagge war verkehrt herum aufgezogen.
    Nachdem das Spiel angepfiffen war, die Köpfe dem einen Ball folgten, ergab sich bald eine richtige Schlacht, mit »Schuss!« und »Volltreffer!«. Sie schienen ihr Leben einzusetzen, alles aus sich herauszuholen.
    Dieses Spiel hatte Südamerika mehr Tote gekostet als alle Kriege des Jahrhunderts zusammengezählt. Das Geschrei der Schlachtenbummler vermischte sich mit dem Schweiß auf den Rängen und den Urlauten der Kämpfer auf dem Feld der Fußballschlacht. Gelegentlich zogen sie aneinander vorbei und spuckten sich ins Gesicht.
    Die stärkere Seite gewinnt. -
    Mein alter Urgroßvater, ein entschiedener Verfechter der stärkeren Seite, hatte mir noch diesen Satz aufschwatzen wollen, ohne Erfolg. Also - ich fasse zusammen - wurde die Siegerhymne gespielt.
    Die deutsche Hymne, sie hätte auch als Kammermusik präsentiert werden können, aber »die Italiener«, wie Fritz für ganz Argentinien sagte, bliesen sie mitten im Stadion in ihren grellen Uniformen wie eine Improvisation von Alle meine Entchen herunter.
    Unsere Sieger sahen ganz so aus, als ob sie eine Schlacht gewonnen hätten, noch mehr die Schlachtenbummler, die damals noch so hießen. Ihr Anhang grölte auf den Rängen und drohte den Verlierern, allen, die in diese Niederlage verwickelt waren, mit dem Tod. Sie machten Anstalten, alle auf der Stelle zu vernichten. Siegerrituale, der Fuß im Nacken, die Gesten der Unterwerfung wurden schon angedeutet. Es fehlte auch hier nur ein Haar, aber der einsetzende Regen verhinderte das Ende des Spiels: die Ausrottung aller Feinde.
    Es gab zum Glück keine Toten. Aber der Platz sah nachher doch wie ein Schlachtfeld aus.
    Die Trostlosigkeit einer Siegesfeier.
    Der Wind hat den Augenblick des Sieges davongetragen. Der Regen hat ihn zugeregnet. Die Sieger müssen vor Freude schreien. Sie haben gesiegt. Sie haben in der Arena nichts mehr verloren.
    Sie können jetzt nur noch So ein Tag, so wunderschön wie heute singen. In ihrer Verzweiflung beginnen sie, So ein Tag, so wunderschön wie heute zu singen und zu schunkeln. An der Stelle des Sieges das leere Spielfeld.
    Und du?
    Sie besaufen sich, können sich besaufen, und dann kommen ihre Frauen, ziehen sie von Mann und Biertisch weg, und das Leben muss weitergehen. Schon auf dem Fußballfeld, schon nach dem Siegestor war dem strahlenden Helden nichts anderes eingefallen, als sich auf den Boden zu werfen.
    Als sich auf den Boden zu werfen, dahin, wo die anderen schon lagen, sich übereinanderzuwerfen aus Freude und liegen zu bleiben und dann wieder aufzustehen.
    Und du?
    Auch auf der Straße setzte sich das verzweifelte Gegröle von So ein Tag! fort. So ein Tag! -
    So ein Tag. Sonst nichts, in alle Ewigkeit. Auch Fritz summte mit. Und ich, der alles mit angesehen hatte, summte schütter dagegen.
     
In den Händen bald ein Gefühl, kein Gefühl mehr zu haben
     
    Da fiel auch schon wieder ein Regen. Er hielt mich im Zimmer fest. Er verhinderte, dass ich überhaupt vor die Tür kam. Es regnete mich ein, mich an, mit diesem Tag war nichts mehr zu machen. Rosa lag neben mir. Kein Zauberer war da, der sie von mir weggezaubert hätte. Denn ich wollte mit einem Mal allein sein, ich hatte einen Patagonienkoller bekommen von diesen vielen Bildern und Geschichten, arme Rosa. Es lag an mir. Sie konnte nichts dafür.
     
    An ihrer Stelle hätte ich mich in den Regen hinausgeschickt, aber dieser Regen fiel wie flüssige Scheiße vom

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