Einmal auf der Welt. Und dann so
ihrem Grab.
Ein Bauchplatzer! Nach diesem Zwischenfall hat sich der berühmte Chirurg nicht mehr sehen lassen bei mir. - Ob er so berühmt war, weiß ich gar nicht. Überhaupt halten sich die Ärzte für berühmter, als sie sind, aber der einzige weltberühmte deutsche Arzt des zwanzigsten Jahrhunderts heißt Mengele, getauft nach dem heiligen Josef, dem Ziehvater Jesu und Patron der Arbeit. Beide ausgesprochene Handwerker. - Ich hatte nichts mehr in Händen als Gedärme, meine eigenen Innereien. Einfach einschlafen, tot umfallen? So schnell geht das nicht. Der Tod lässt sich Zeit mit uns. Plötzlich lag ich im eigenen Blut, zufälligerweise auf der Intensivstation, auf der Stelle wurde ich ohnmächtig. Wir sind schwach, unser Gewebe ist schwach, die Narbe, je länger sie ist, desto eher reißt sie auf und will nicht verheilen. Ich bin noch einmal davongekommen.
Gerade am Rande des Todes, aber die Assistenzärztin machte schon wieder ein Gesicht, als ob mir ihr berühmter Chirurg das Leben gerettet hätte, wo er mich doch nur noch einmal in Todesgefahr gebracht hatte. »Das durfte nicht vorkommen!«, hörte ich. Und sogleich wurde auch bestritten, dass es vorgekommen war. Meine Schwester eilte bestürzt ans Krankenbett. So etwas komme in der heutigen Medizin, die doch die beste sei, die es je gegeben habe, bei hunderttausend Operationen nur einmal vor, behauptete sie. Schuld sei nicht der Arzt, sondern mein schwaches Gewebe. Schön, dass du lebst! - Und dann?
Zu meiner Zeit konnte noch jede Schneiderin ihren Knopf annähen, ein Scherenschleifer schliff seine Schere zurecht. Der Metzger wusste nicht nur, wie er sein Schwein aufschneidet und ausbluten lässt, er wusste auch noch über alles Bescheid, was dann kommt. Sogar ein Meteorologe war zuverlässiger als jener Chirurg, der mir einfach den Bauch aufschnitt, den Kopf, das Herz, und nichts damit anzufangen wusste. Ich lag in meinem Krankenzimmerbett, am Ausbluten. Der Facharzt kam herbeigeeilt und wusste nichts anderes mit mir anzufangen, als die Wunde, die er mir beigebracht hat, noch einmal zuzunähen. Ich hätte mit meinem Bauch zu einem Medizinmann gehen sollen. Er hätte mir mit seiner Hand, mit seinem Herz, mit seinem Blut geholfen, er hätte mich gerettet. Aber mein Doktor, der mir auch meinen Totenschein ausgestellt hätte, ohne mit der Wimper zu zucken, ließ mich einfach liegen, mir hätte der Tod blühen können. Aufschneiden, zunähen, den Totenschein ausstellen, aber vorher bin ich, ein Vierzuteilender, zwischen Leben und Tod, Operationssaal und Tiefkühltruhe hin- und hergerissen worden. Es kann ganz lang oder ganz kurz dauern, je nach Zufall, Tageszufall, in wessen Klauen einer geraten ist. Ich hatte Glück, ich lebte, lebte noch mit meinem Bauchplatzer, meinen Händen, meinem Gedärm in den Händen.
Es gibt auch einfachere Fälle. Nehmen Sie ein gewöhnliches Raucherbein. Ihnen wird alles vom Fuß bis zum Oberschenkel abgeschnitten. Das Raucherbein wird entfernt, in die Chirurgentonne damit! Und so sollen Sie für den Rest Ihrer Tage auf der Welt herumlaufen? Vor Scham lässt sich der Chirurg kein einziges Mal mehr sehen. Ihr Bein, mit dem Sie doch laufen lernten, kommt als chirurgischer Abfall ich weiß nicht wohin. Das Raucherbein ist nun wirklich allein, bis zum Ende wird es seinem Verlust nachtrauern, bis zum Ende wird es hinter seinem Bein herlaufen, das ihm vorangegangen, ihm voraus ist.
Diesem Arzt verdanke ich mein Leben! Wie oft habe ich diesen Satz gehört. Das Gegenteil konnte ich freilich nie hören. Grenzenlose, uferlose Dankbarkeit der Überlebenden, die Tränen in den Augen des Raucherbeins. Selbst es schreibt noch einen Dankbrief, den ein Chirurg aus Scham nicht zu Ende liest. Es will seinen Retter doch wissen lassen, dass es schon wieder auf den Beinen ist und alles essen kann. Die Rollstuhlindustrie wächst ins Unermessliche.
Wer reinigte die Fleischmesser?
Die Putzfrauen kratzen das Operationsfleisch aus den Ritzen und Bohrern und Zwischenräumen. Menschenfleisch ist süß, süßlich. Das wissen Sie alles.
Mein Chirurg sah das freigelassene Stück Haut, die Oberfläche, und malte ein Operationsbild auf meinen Körper, er zeichnete den Schnittweg. Ich, der Patient, der Fall, das Objekt, war längst weggesackt, im Glauben, geheilt zu werden. Doch außer meinem Röntgenbild kannte mein Chirurg nichts, wusste er nichts von mir. Er kam nicht mit mir, nur mit meinen Röntgenbildern in Berührung. In einem Großbetrieb kommen die
Weitere Kostenlose Bücher