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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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liegenzulassen. So zogen wir die beiden zur Seite und ließen sie nebeneinander an Ort und Stelle. Der Wagen war noch fahrtüchtig.
    Mit einer von niemandem bemerkten Verspätung kamen wir in Pico Grande an.
     
Ich schaute auf die Uhr, bald würde es schneien
     
    Nun, da meine Maul- und Klauenseuche ausgebrochen war (die Diagnose kam von mir, keiner konnte mir sagen, was mir fehlte), o ja, ich wusste es ganz genau ... Bald wäre ich wieder bei Dr. Methfessel.
    Hatte ich mich nicht längst an meinen Schmerz, mein Leben gewöhnt?
    Ich nannte nun das, was mir fehlte, was ich hatte oder was war: Maul- und Klauenseuche, meine konsumierende Krankheit, tödlich und unheimlich wie sie. Hatte mich Medizinern anvertraut, jenem Beruf, der vor hundert Jahren noch wissenschaftlich begründete, dass man an Onanie starb, und aufzählte, wer alles an dieser Krankheit schon gestorben war, wäre auch ich gestorben, denn was war meine Krankheit gegen die unschuldige Onanie!
    Eine letzte Stunde bei Fritz, ganz allein, ohne die Verwandten, die verschreckt waren von dem, was sie zu Gesicht bekommen hatten, und vielleicht noch von allem, was man nicht sehen konnte, und was es doch auch hier gab, wie ich auch.
    Ich habe, ganz am Ende, eigentlich nur wissen wollen, wie es zu Hause war. Seine Reise lag nun schon wieder viele Jahre zurück. Und warum er nun wieder hier lebte.
     
    Von seiner Schwester war er schon mehrfach genötigt worden zurückzukehren. Schließlich war Fritz einfach ein Flugticket (open end) zugeschickt worden. Er solle kommen und sich alles anschauen, alles, was sie sich im Verlauf einer nun schon vierzig Jahre dauernden Nachkriegszeit angeschafft hatten, nachdem die Flüchtlingsgeneration alles verloren hatte und überhaupt wieder einmal nur die Robustesten mit dem Leben davongekommen waren.
    Die Schwester wollte ihn noch einmal sehen, ja, sie schrieb von »Platz genug« und »immer bleiben«, was für Fritz nur heißen konnte, er solle nach Hause kommen zum Sterben. Sie hatte ihm die elektrischen Geräte geschickt, den Braque, von dem die Doctora sagte, das Bild sei nichts anderes als ein gerahmtes Poster, die Ostsee, die Kopie seines Meeres, das an seiner Wand hing.
    Dann fuhr er doch.
    Aber kaum in München, wurde er krank.
    Vielleicht brach seine Krankheit auch nur aus. Fritz, der sein Leben am Rand von Pico Grande verbracht hatte (nur einen kleinen Teil davon im Provinzgefängnis von Comodoro Rivadavia wegen Unzucht), musste schon am zweiten Tag seines Aufenthalts in ein Münchner Krankenhaus eingeliefert werden. Seine Schwester, im Berufsleben ein hohes Tier beim Deutschen Roten Kreuz, hatte ihm sogleich einen der im Deutschen Krankenhaus so zahlreich auftretenden Spezialisten verschafft, sodass er zunächst annahm, trotz allem in guten Händen zu sein, in einer Lage, die er in seinem ersten Brief nach Pico Grande als Glück im Unglück beschrieb.
    ... »Das gab mir zu denken ...«
    ... im Münchner Krankenhaus entfernte man mir zunächst einmal ein kindskopfgroßes Geschwür aus dem Unterleib. Man hat mir dieses Geschwür nicht gezeigt und auch nicht gesagt, wo es schließlich verschwunden ist (wohin mit dem chirurgischen Abfall?) - aber hätte ich nicht ein Anrecht darauf gehabt, es wenigstens zu sehen? War es nicht mein Geschwür? Als Kind konnte ich doch meinen Milchzahn auch in ein Taschentuch wickeln und vom Zahnarztstuhl weg mit nach Hause nehmen. Kindskopfgroß behauptete eine Assistenzärztin, die mich betreuen sollte, auf mich angesetzt war und immer wieder mit großen Schritten ungefragt und ohne Gruß hereintrampelte. Wir mussten fast alles entfernen! Der Professor hat Sie gerettet! Meine Operation war nach unergründlichen, über Nacht einsetzenden Schmerzen unvermeidlich, wie mir gesagt wurde. Kein einziger dieser in Massen auftretenden vernünftigen Menschen bezweifelte den Eingriff, aber ich war es, der unterschrieb, der die Verantwortung auf sich nahm. Meine Schwester hatte mir schon vor dem Eingriff eingeflößt, wie dankbar ich sein müsse, von einer solchen Kapazität behandelt zu werden. Das Bild eines Lebensretters wurde mir aufgedrängt, die Vorstellung eines großen Menschen, eines Übermenschen, dessen Schwächen, sofern sie bekannt waren, als klein entschuldigt wurden. Er opferte sich so sehr auf, dass er nicht einmal Zeit fand, mich zu begrüßen. Er verzehrt sich für seine Patienten, hörte ich. Ich hörte von Geschenken pflichtschuldiger Geretteter. Die nicht Geretteten schwiegen in

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