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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Röntgenbilderakten immer wieder abhanden. Auch ganze Menschen verschwinden in diesem Schlachthof, der Krankenhaus heißt, in der Mangel von Knochensägern, die Chirurgen heißen, Schwestern ausgeliefert, die keine sind, von Krankenpflegern zu Tode gepflegt. Nur der Kranke, nur ich hatte meinen Namen zu Recht.
    Spätestens als sich der Krankenhausgeistliche neben mein Bett setzte, wusste ich, dass man mich aufgegeben hatte. Immerhin bescherte mir die Unfähigkeit der Ärzte einen Anstaltsgeistlichen, der sich an mein vermeintliches Sterbebett setzte und fromm auf mich herunterblickte. Das war ein verdecktes Geständnis, dass sie nicht Herren über Leben und Tod waren. An dieser Stelle wusste ich endgültig, dass Arzt und Versager dasselbe ist, war und sein wird. Denn wie konnte es gleichzeitig Ärzte und Sterbebetten geben?
    Wenigstens der Anstaltsgeistliche hatte sich in den Kopf gesetzt, mich zu retten. Was wäre so ein Geistlicher ohne das Sterbebett, sein ganzes Kapital? In meinem Sterbebett hatte ich Zeit, über das Leben nachzudenken. Das Sterbebett, diese heimliche Bankrotterklärung des Arztes, war andererseits auch sein ganzes Kapital: sein Monopol auf den am künstlichen Leben erhaltenen Patienten, die goldene Zitrone. Eine gemeinsame Kapitalanlage, wenn auch ganz unterschiedlich investiert: für Arzt und Geistlichen ist das Sterbebett eine Goldgrube. Ein gutes Bett wirft jeden Tag so und so viel ab. Gleichgültig, wie groß die Schande, Arzt und Priester wollen, dass sie erhalten bleibt, dass dieses Bett seinen Platz in der Welt behält und immer wieder neu gefüllt und ausgenommen werden kann.
    Dann und wann gelang es dem Geistlichen sogar, dem Kranken einzureden, dass er verloren war, sei und sein werde. Der Fisch biss an, der Kranke begann zu weinen, zu reden und zu bereuen, zu singen, er verriet alles, sein Leben, und wollte nur noch erlöst sein. Aus dem Handköfferchen heraus wurde ihm die Letzte Ölung erteilt. Ich hätte »ja« sagen sollen zum Tod. Der Priester wollte mich für den Himmel haben, mich für die ewige Seligkeit buchen. Danke schön, heute nicht. Ich verriet ihm, dass ich nicht katholisch war, in meinem Leben nicht. So viel konnte ich gerade noch aus mir herausstöhnen.
    Der auf mich abgerichtete Arzt saß derweil in der Teeküche. Man hatte mich offensichtlich aufgegeben. Von den Ärzten ließ sich keiner mehr sehen. Man hatte mich an den Geistlichen abgetreten. Aber auch der war verschwunden. Kaum als ich abgelehnt hatte, war er eingeschnappt aus meinem Sterbezimmer verschwunden. Mein Fall war fast abgeschlossen.
    Doch mein Blut verfärbte sich nicht. Wasser und Blut blieben eins. Irgendwann stand eine ganze weiße Horde an meinem Bett. Man zeigte auf mich, und die Assistenzärztin meldete ein Wunder: Der Chefarzt hat Sie gerettet. Gott und der Chefarzt, warf der zurückgekehrte Geistliche ein, der sich das Wunder nicht nehmen ließ. Ich wurde nicht in die Tiefkühltruhe geschoben. Mein Fall war doch nicht abgeschlossen. Man rief meine Verwandtschaft nicht an, ich sei tot, sondern ich sei am Leben. Man könne mich jederzeit abholen.
     
Das war Fritz.
     
    Und wer war ich?
     
    Für den kleinsten Schmerz, den kleinsten Schnitt verlangte ich schon nach einer vollkommenen Betäubung. Ich nahm auch lieber den Tod in Kauf als ein paar Stiche ins eigene Fleisch, die ich als solche wahrnahm. Ich war schmerzscheu, immer wieder musste man mich einschläfern. Und so dachte ich, von Fritz bestärkt, nun bis zum Ende meiner Reise.
    Eigentlich wollte ich gar nicht sterben, so viel war mir klar, ich wollte doch nichts anderes als einschlafen und nie mehr erwachen, schon gar nicht im Himmelreich.
     
    Sie wollten mir noch etwas zeigen, die restliche Zeit noch füllen
     
    Sie schleppten mich am letzten Abend noch in einen Dia-Vortrag, ganz wie zu Hause, heimatlos, ein fahrender Geselle, mit seinen Bildern nach Patagonien abgedrängt. Hätten es Bilder von mir sein sollen, von zu Hause, von meinen Frauen und Kindern, von meinen sich verlierenden Vorfahren und Vormenschen? Doch ich kam nicht mit ihnen.
    Aber dann trat an meiner Stelle ein anderer fahrender Geselle auf, ein verhauenes Gesicht, eine Erscheinung wie ein Vileda-wischlappen, doch die Leute klatschten, sie wollten Bilder sehen.
    Ich war noch drei Tage hier, driftete wie ein Beiboot auf Wasserfall und Abreise zu.
    Ich war hier, das erinnerte mich an eine Weisheit vom Klo.
    Zuletzt wussten sie aber nichts mehr mit mir anzufangen.
    Sie

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