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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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schleppten mich ins Klubgebäude, um die Zeit zu vertreiben, ganz so, wie ich es schon sehr früh zu Hause mit meinen Gästen machte, die ich, statt ihnen etwas zu bieten, in einen Sexfilm mitnahm.
    Er war der letzte Mensch, den ich in Pico Grande kennenlernte. Wie hatte er hierhergefunden?
    War er vermittelt worden, oder hatte er es aufgespürt? Gesagt bekommen: Da leben auch noch welche, zu denen kannst du noch, die haben dich noch nicht gesehen, denen kannst du zeigen, was du willst?
    Und er machte sich den Weg durch die Massen frei, die Reihen, die wenigen, halbvollen, ich bangte, als wäre ich schon ein Schriftsteller, der die Reihen durchgeht und die leeren Plätze zählt, oder kurz vorher noch, den Satz des Veranstalters »Es hat keinen Sinn mehr zu warten. Fangen wir an!« gehört hat, und es war ein kleiner Sprung, schon war er auf dem Tanzboden, und seine Assistentin (Gottes Ebenbild) war auch schon vorgestellt und beklatscht: Nun hörte ich »Rio de Janeiro«, »Santiago de Chile«, »Montevideo«, »Buenos Aires« und »Paris« heraus. Er nuschelte gekonnt, sie aber hatte mit einigen Handbewegungen gegen das Publikum hin und vom Publikum weg schon die Leinwand entrollt.
    Der Friedhof war mir gezeigt worden, die nummerierten Seen hatte ich hinter mir, das Muttermal, die Maul- und Klauenseuche, und die Assistentin gab nun ein Zeichen zum Klatschen. Sie machte es vor, ein heftiges Lächeln stand in ihrem Gesicht, die weiß lackierten Schuhe ihres Meisters erinnerten mich an Meier, mit dem ich zum Fußballspiel nach Bariloche gefahren war und der mit mir über die möglichen Daten des Endes der Welt spekulierte, sich im Wissen wiegend, dass er dies nicht mehr erleben müsse.
    Sie war in Rosa getaucht, ging in Rosa unter, alles an ihr glitzerte, ein Mensch, der sich selbst abhandengekommen war, so das Bild des Abends. Sie schleppte den Zeigestab hinter ihm her, er eilte zum Apparat, einem vieleckigen Monstrum. Totenstille, denn mit einer einzigen Handbewegung über die Köpfe hinweg hatte sich der kleine Mann schon von Anfang an Ruhe verschafft. Er gebot über sie. Auftritte im Zoo und beim Militär waren wohl vorausgegangen.
    Sie ging mit dem Hut herum, kam zu mir, sah mir ins Gesicht, doch sie ließ mich nicht aufkommen, schließlich kam sie aus Rio, Santiago, Montevideo und von überallher, während ich von nirgendwo kam. Sie zählte mich zu denen, die nicht zählen. Schade um dich, du warst nie in Paris, du wirst Paris nie sehen, so schaute sie mich an. Sogleich wurde sie wieder energisch, rückte ihre Mähne zurecht, kam in der Gegenwart an: Es soll jetzt losgehen!
    «Señores! El Maestro!« Eine leere Stimme, ein leeres Grab, doch sie machten ein Fest aus sich, ganz weiß, ganz rosa. Er hatte ein unbestimmbares Alter erreicht. Alles an ihm glänzte in einem letzten Stadium der Zerknitterung, die mich an einen bösen Witz erinnerte, der um das Wort »verreckt« herum angelegt war.
    Eine Art Partnerlook war es, die fehlenden Zähne bei ihr und bei ihm an der gleichen Stelle.
    Sie hatte den Mangel großzügig ausgeglichen, mehr als ausgeglichen, wettgemacht durch ein hinreißendes Rot auf den Lippen, ein zerfließendes Rot wie in den Filmen einer anderen, besseren Zeit.
    Dann das erste Bild. Ich hatte mir sagen lassen: ein Vortrag über den Kongo, von den Negern und wilden Tieren und von den Menschenfressern.
    Sagte nicht einer, »Geschichte ist die Sinngebung des Sinnlosen«? Wollte ich nicht »Geschichte« durch »Schreiben« ersetzen? Konnten sie von der Natur und der Geschichte gar nicht genug kriegen?
     
    Es war noch einmal ganz wie zu Hause, wo es Menschen gab, die am liebsten Tierfilme sahen und wie der Tiger ins Netz ging und der Elefant zur Strecke kam. Und der Höhepunkt jenes Films war, wie die Tigermeute, die auch ihren Hunger hatte, es schließlich doch geschafft hatte, diesen König der Savanne, dem sonst auch ein Tiger nichts anhaben konnte, der gerade noch ganz gemählich zur Wasserstelle getrottet war, an all diesen hungrigen Mäulern vorbei, der sich wieder, der Durst war gestillt, ganz gemählich auf den Heimweg machte, wie dann aber, von einem unbeschreiblichen Augenblick an, in dem sich wohl das »Geheimnis des Lebens« verbarg, wie all jene glaubten, die selbst in dieser Geschichte noch einen Sinn sahen, ohne Zyniker zu sein - wie nun Bewegung in die Geschichte kam, die Tiger waren ihm auf der Fährte, er sah es im Rückspiegel seiner Sinne. Wie der Elefant nun zu laufen begann, erst

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