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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Erinnerung ist untergetaucht, aber alles tut weh vom Gehen. Der unbekannte Soldat, auch er war von dir, du kannst ihn zu deinen Vorvätern rechnen, Vater zu ihm sagen.
    Als mein Vater Karl gegen meine sächsischen Väter zog, gegen meine Millionen ...
    Ein abscheuliches Zahlenspiel. Ich hörte auf mit dem Zählen. Ich wusste nun, woher ich gekommen war, und konnte mir denken, wo es hinging. Es zog »ein Mondenschatten als mein Gefährte mit«.
    Trotz allem: Das Mittagessen wartete auf mich. Das patagonische Schnitzel, kaum paniert, viel Fleisch, mein trotz allem gefräßiges Maul, das sich über die Welt und alles hermachte.
    Es ist an der Zeit, dass wir unseren Namen preisgeben. Für wen halten uns die Leute?
    Du heißt Rosa, Rosa Schwanz heißt du, nach deinem Vater, einem Schwanz wie ich. Wir alle stammen von jenem Schwanz ab, der aus Tirol in unser Haus kam, nur ein Müllersknecht.
    Das ist die Wahrheit.
    Sie wusste zwar, dass sie Rosa Schwanz hieß, doch was das noch hieß im Deutschen, wusste sie nicht.
    Nun konnte ich Rosa verraten, dass man schon in Chile über mich gelacht hatte, als ich als Ziel meiner Reise Pico Grande nannte, wörtlich übersetzt: Groß-Spitz, metaphorisch: Groß-Schwanz, etwa so als deutsches Bild. Rosa wusste weder, dass man in Chile jenen Teil, der bei uns topographisch-metaphorisch Schwanz genannt wird, als pico bezeichnet, noch wusste sie, dass die Schwanz-Familie, die Schwanz-Seite (die Mutter war ja eine Indianerin), auf die sie sich so stolz berief, zu Hause nur ein Gelächter eintrug. Ganz zu schweigen von ihrem vollständigen Namen.
    Am Tag zuvor hatte ich mal wieder Geburtstag und war bis dahin exakt 300000-mal errötet, nur wenige Male meines Namens wegen.
    Im Grunde erschrak ich nur deshalb, weil ich Schwanz gerufen wurde, weil man einfach Schwanz zu mir sagte, Schwanz, schon in der Schule war ich nur der Schwanz und sonst nichts. »Schwanz in die Ecke! Schwanz an die Wand!« Beim Fußball wurde ich immer als Erster vom Platz gepfiffen: »Schwanz raus! Schwanz raus! Schwanz raus!«, brüllte es von den Rängen.
    In alle Ewigkeit werde ich als Schwanz durch die Welt laufen müssen.
    Ich werde zurückkehren und mit all meinen Feinden verschmelzen, Schmerz, mein Schmerz, Urahn meiner Erinnerung, und liegen, auf dem Heimatfriedhof, jenem gleichschenkligen Dreieck, »bein mit beine«. Dachte ich, der Einzige, der dachte wie ich. Ach.
    Für alles hatte ich einen Satz parat, selbst für das Nichts.
     
Auf Feuerland war ich nie
     
    Am Ziel. Hu Kiu Dsi Lin: »Welches ist das erhabenste Ziel des Wanderers? Das erhabenste Ziel des Wanderers ist, kein Ziel zu haben ...«. Ich stand nur einmal an der Magellanstraße, hinüberschauend, ganz in der Ferne sah ich Feuerland - ein Strich in meiner Landschaft, mehr nicht. Magellanstraße hieß dieser Teil von der Welt, das Wasser konnte nichts dafür. Cabo Virgenes: nach der heiligen Ursula und ihren 11 000 Jungfrauen. Ich weiß nicht, ob Magellan noch daran glaubte, aber am Fest dieser Unzahl von sonderbaren Heiligen stieß er auf diese Stelle, auf dieses Kap an der Südspitze Amerikas vis-á-vis von Feuerland.
    Mein Blick hinüber. Das war alles. War alles ganz wie zu Hause.
    Ich nur ein Ausflügler. Schwarzweiße Pinguine waren es, die Rosa sehen wollte. Aufgeregt watschelten sie davon, kaum dass wir sie erblickt hatten. Heute sind sie wahrscheinlich schon tot, alle, auch die damals noch gar nicht ausgebrüteten. Tot - oder gar nicht erst ausgeschlüpft.
    An dieser Stelle fiel mir Moses ein. Schwamm über die Geschichte. Es war nur ein Ausflug. Auf dem Rückweg wurde kaum gesprochen.
     
    Ich wäre am liebsten ohne Rosa gefahren, die nun, nach unserer Höhlengeschichte etwas verstimmt, ein Gesicht machte, wenn wir uns sahen, als wollte sie »Tomate« sagen, so schaute sie, wie die arme Dreckig auf der Treppe vor der Bahnhofswirtschaft von Sentenhart.
    Auch nachdem ihr Mann wieder abgereist war, wurde es nicht mehr wie bis dahin. Und ehrlich: Es war ja auch nicht gar nicht so viel gewesen. Es war nicht viel. Doch es war alles.
    Sie hatte das Auto, und außer mir gab es in Pico Grande noch zwei andere, die etwas von der Welt sehen wollten, Touristen, Deutsche, zwei, die auch ihr Futter haben wollten und etwas sehen, die genau wie ich auch nach Pico Grande gefunden hatten, das hätte ich längst sagen können, denn diese zwei waren von Anfang an auch da oder dabei. Er Chirurg, sie Zahnärztin, Verwandte von Fritz, die Tochter seiner Schwester

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