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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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in München. Zusammen wollten sie sich nach dem Erbe umsehen. Doppelt so alt wie ich waren sie und doppelt so klug und geizig. Sie hatten alles ausgerechnet, und so, mit Rosa und mir, kam es am billigsten.
    Die Fahrt nach Feuerland hatte ich mir aber als Höhepunkt ausgedacht.
    Zwischen Gobernador Costa und Trevellin auf halbem Weg ein nicht identifizierbarer Gedenkstein, der in der Mitte eines Ossariums stand.
    Zuletzt ging die Straße in eine Fährte über, dann waren wir an der Magellanstraße. Es folgte ein Essen mit viel Weißwein und die Erinnerung an das Beinhaus.
    Es war ganz wie zu Hause: Das nicht zu Verschmerzende wurde mit Wein hinuntergespült, das schwer Verdauliche, das Schweinefleischleben.
    Ehrte es die Toten, dass sie tot waren?
    Tod, wo ist dein Stachel? Die Gebeine der Indianer waren spurlos verschwunden wie die Indianer selbst. Kein einziger Indianerknochen lag da im Beinhaus, nur in jenem letzten Gemetzel umgekommene Sieger, will sagen deren Knochen. Der Ort war traurig, namentlich das Gebeinhaus von innen, wo es außer einer Wand aufeinandergeschichteter, längst ausgebeinter Schädel nichts zu sehen gab. Sie waren geschützt vor der Nachwelt, damit nicht doch noch irgendwann ein Indianer aus dem Urwald gerannt kam. Ein grobschlächtiges Gitter verschaffte den Köpfen dahinter eine relative Sicherheit.
    Das Beinhaus, im Windschatten des Beinhauses ein kleines Gotteshaus. Da hatte wohl noch vor kurzem ein kleiner verstreuter Haufen von Nonnen ein brüchiges, windschiefes Ave Maria vor sich hin gesungen und war nun auch tot, bis dahin bezahlt von frommen Nachkommen gottesfürchtiger und siegreicher Soldaten, Granden und Infanten, als hätten sie für mich gesungen, so schwarz war nun alles. Der Himmel schwebte derweil über dem Abgrund, meine Seele, meine Todesstunde.
    Dann wieder die hingefleckten Siedlungen mit ihrem Blut, den Menschen aus Blut, von der Straße aus, die Etappenziele mit ihrer roten Vergangenheit.
    So lag es schließlich vor mir, das Kap der Jungfrauen.
    Und Schiffwracks lagen auch noch da, als wären es Gerippe oder Windeln der Erinnerung.
     
    Auf dem Rückweg wurde kaum gesprochen. Rosa war so mundfaul, dass sie den Fahrer von Zeit zu Zeit auf den rechten Handrücken schlug, zum Zeichen, dass er vom dritten in den vierten Gang schalten sollte, schließlich saßen wir in ihrem Fahrzeug. Das war alles. Außerdem haben wir noch ein Schaf angefahren, zwei Schafe, die uns ins Schleudern brachten und beinahe auf den Kopf gestellt hätten. Wir kamen zum Stehen, sahen uns an, ob alles in Ordnung war mit uns und dem Wagen, wir tasteten uns ab. Nur ein paar Schrammen.
    Aber da lagen noch die Schafe auf der Fahrbahn, zwei Schafe, Mutter und Kind. Wir wussten erst nicht, ob wir einfach weiterfahren sollten, zwei Schafe zählen ja nicht. Aber sie lebten noch. Erst das Kleine, dann die Mutter, die vor sich hin stierte, wahrscheinlich alle Knochen gebrochen hatte und gerade dabei war, von innen her zu verbluten ... »Scheiße«, sagte ich an der Stelle von »Ach Gott!« und »Du lieber Himmel« vor mich hin, ein Stoßgebet, »scheiße, scheiße«. Als ob alles darauf hinauslaufen müsste.
    Der Todesfahrer, der zudem ein Chirurg war, solle das Töten übernehmen, während die zwei Frauen etwas abseits hinter dem Auto warten sollten - oder die Zeit für ihr Geschäft nutzen, schlug ich etwas kopflos vor. »Du bist Chirurg!«, befahl ich.
    »Aber ich bin doch kein Metzger!«, antwortete er eingeschnappt und überheblich.
    »Du kommst doch vom Land! Mach du!«, herrschte er mich an.
    »Töte du!«, verlangten auch die zwei Frauen von mir.
    Aber dann haben wir uns gefangen. Dann haben wir alle zusammen geholfen. Die eine trug den Stein herbei, den der andere verlangt hatte. Ich hielt den Kopf, die andere rückte ihn zurecht. Erst das Kleine. Die Tiere waren uns nicht so fremd wie die Pinguine. Wir wussten in etwa, wo ihre Adern verliefen, wo wir schneiden mussten. Erst der Schlag, flash!, Schlussbild. Jetzt das Messer, ein einfaches Schweizer Taschenmesser, das Norm-Messer, mit dem wir uns beim Picknick das Brot vom Laib schnitten. Dann das Alte. Als alles tot war, zogen wir die beiden zur Seite, auf die Seite gelegt, sah man ihnen fast nichts an, sie hätten so auch leben können, nur etwas Blut aus Maul und Ohren, das sich seine Bahn durch den dichten Schafspelz suchte, hellrotes Blut. Wir hätten es doch nicht fertiggebracht, diese Lebewesen, die uns noch wie Sterbende anstarrten, einfach

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