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Einmal durch die Hölle und zurück

Einmal durch die Hölle und zurück

Titel: Einmal durch die Hölle und zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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hätten noch nie was von Chris gehört, aber das habe ich ihnen nicht geglaubt.«
    »Haben Sie die Liste noch?«
    »Die habe ich der Polizei gegeben.«
    »Haben Sie eine Kopie angefertigt?«
    »Nein.«
    Verständlich. Die meisten Menschen denken auch dann nicht besonders logisch, wenn ihre Familie nicht ausgelöscht wurde. Doch das heißt, die Polizei hat das entweder schon überprüft oder es nicht für nötig befunden, und in beiden Fällen kann man nichts machen.
    »Gibt’s noch andere …« Beweise wollte ich sagen, doch vermutlich klingt das, als würde ich ihr nicht glauben. »Gibt es noch etwas, das Sie mir sagen wollen?«
    Eine Pause tritt ein, in der nur das Sirren der Leitung zu hören ist. Gerade als ich die Frage noch mal wiederholen will, sagt sie:
»Reggie, ich weiß, dass du’s bist.«
    Sie sagt es ohne Zorn, ich höre bloß Erschöpfung und Trauer heraus. Das ist unerträglich.
    »Ich bin nicht Reggie. Ehrlich nicht. Wenn Sie wollen, kann ich später noch mal mit einer Frau anrufen.«
    »Das ist mir egal. Wenn du Reggie bist, fahr zur Hölle«,
sagt sie und legt auf.

21 Camp Fawn See Ford Lake, Minnesota
    Samstag, 15 . September – Sonntag, 16 . September
    Während ich dasitze und das Telefon anstarre, ohne was Sinnvolles zu denken, höre ich, wie die Hüttentür aufgeht. Lehne mich zurück, um nachzusehen.
    Es ist einer von Palins Sicherheitsleuten. Seit etwa einer Stunde regnet es stark, und er hat eine Baseballkappe, aber keine Sonnenbrille auf, wodurch er wie ein anderer Mensch aussieht.
    Ich habe irgendwie gedacht, Palin wäre mit den anderen zum Kasino gefahren, doch wenn niemand wissen soll, dass sie in Ford ist, erscheint es plausibel, dass sie darauf verzichtet hat.
    »Was ist?«, frage ich.
    Er grunzt nur etwas, das klingt, als würde es von einer obszönen Beckenbewegung begleitet. Ich bin mir nicht sicher, warum es nicht so ist, denn außer uns ist niemand im Raum, und wer würde mir schon glauben, dass der Typ eine obszöne Beckenbewegung vollführt hat? Doch er sieht sich nur um, wirft einen Blick hinter den Schreibtisch und ins Büro und sagt dann in sein Handgelenk: »Er ist im Empfangsgebäude. Alles in Ordnung. Fenster grün, Fenster rot. Ich komme jetzt raus.«
    Soweit ich sehen kann, sind beide Fenster geschlossen und bieten einen ungehinderten Blick.
    »Was bedeutet ›Fenster grün, Fenster rot‹?, frage ich.
    Der Mann geht.
    Ich warte noch ein, zwei Minuten, doch als nichts passiert, stehe ich auf und sehe mir die Bücher auf dem Ausleihregal an. Ich würde gern wieder in meine Hütte gehen, aber Violet und ich haben seit heute Nachmittag nicht mehr darüber gesprochen, und ich weiß nicht genau, ob es noch
meine
Hütte ist.
    Ich nehme irgendein Taschenbuch zum Sofa mit und lege mich hin, um zu lesen. Als ich auf der zweiten oder dritten Seite bin, geht plötzlich die Tür auf, und Sarah Palin kommt mit ihrer jungen Verwandten herein.
    »Dr. Lazarus! Wir haben gehört, dass Sie hier sein sollen.«
    »Von wem denn bloß? Aber ich heiße Azimuth.«
    Sie lächelt. Genau wie vorher ist es seltsam, in ihrer Nähe zu sein. Wie vermutlich mit jedem anderen, den man so oft mechanisch reproduziert gesehen hat.
    »Dürfen wir Sie um einen wirklich großen Gefallen bitten?«, fragt sie.
    Sie stehen immer noch an der Tür. Ich setze mich auf. »Klar.«
    »Sandisk muss ihre Chemiehausaufgaben machen. Mein Dad hat zwar Naturwissenschaften unterrichtet, aber von diesen Genen hab ich wohl nicht viel abgekriegt. Und da dachten wir, Sie als Arzt und alles … könnten Sandisk vielleicht bei den Hausaufgaben helfen.«
    Ich bin überrascht. Dass ihr Vater Naturwissenschaften unterrichtet hat und dass sie an Genetik glaubt.
    Vielleicht habe ich die Frau falsch eingeschätzt.
    »Ich kann’s gern versuchen«, erwidere ich. »Woran arbeitet ihr gerade?«
    Das Mädchen starrt unglücklich auf den Boden. »Es ist bloß Chemie I. Da brauche ich eigentlich keine Hilfe.«
    »
Noch
nicht«, sagt Palin.
    Da ich Sandisks Unbehagen spüre, schlage ich ihr vor: »Setz dich doch aufs Sofa und mach dich an die Arbeit, und wenn du Hilfe brauchst, kannst du ja Bescheid sagen.«
    »Okay«, sagt Sandisk.
    Palin lässt sich auf dem Sessel nieder, der seitlich von uns steht. Das stört mich. Da Sandisk gut mit ihrer Mappe und ihrem großen, mit farbigen Etiketten gespickten Lehrbuch klarzukommen scheint, tue ich nach einer Weile so, als würde ich wieder lesen, und blättere, damit es realistisch wirkt, ab

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