Einmal Himmelblau und zurueck
geöffneten Mund und die verwuschelten blonden Haare.
Ankommen.
Abschied nehmen.
So ist der Kreislauf.
Ich raffe meine Sachen zusammen, stehe auf und gehe die Treppe wieder nach oben. Ich werde zu spät kommen, aber das nehme ich jetzt in Kauf. Tom wird nicht erfreut sein, aber auch das muss ich über mich ergehen lassen. Ich muss es jetzt tun. Bevor mich der Mut verlässt.
Der eisige Wind weht mir ins Gesicht und ich schlage den Weg zum Wasser ein. An der Brücke steht kaum jemand, so dass ich mit mir und John in meiner Hand alleine bin.
Abschied nehmen.
Ich zünde mir mit meinem Zippo eine neue Zigarette an und starre geschlagene fünfeinhalb Minuten auf das Foto in meiner Hand.
»Ich liebe dich. Und deswegen gebe ich dich frei«, flüstere ich und halte die Flamme des Feuerzeugs an sein Gesicht. Es dauert nicht lange, bis sich die Ecke hochrollt und das Feuer sich zu den Seiten ausbreitet. Langsam verschwimmt sein Bild in meiner Hand, und als ich es nicht mehr greifen kann, lasse ich es fallen.
Der Wind weht es über das Wasser und ich bin frei ...
Neubeginn
Meine Schicht fängt in fünf Minuten an und ich sitze immer noch in der Bahn. Tom wird mich erwürgen. Das ist schon das dritte Mal diese Woche, dass ich zu spät dran bin, und ich weiß, dass auch seine Toleranz Grenzen hat.
Seit er das Brauhaus vor einigen Monaten übernommen hat, ist er nicht mehr nur Kumpel, sondern auch Chef. Das ist echt eine Umstellung, und ich hoffe, dass wir das hinbekommen und unsere Freundschaft daran nicht zerbricht. Aber wenn ich so weitermache, dann zerbricht wohl eher unser Arbeitsverhältnis.
Ich lehne meinen Kopf an die Scheibe der Bahn und schließe die Augen. Die freundliche automatische Stimme aus dem Lautsprecher kündigt mir an, dass ich zwei Stationen Zeit habe, um meine Gedanken zu sortieren.
Obwohl ich John gerade losgelassen habe, fühle ich mich beschissen. Es ist ja nicht so, dass es einen Schalter gibt, mit dem man seine Gefühle an- und ausknipsen kann. Und nur, weil ich sein Bild verbrannt habe, habe ich ihn noch lange nicht aus meinem Herzen gestoßen. Ich seufze und weiche dem Blick aus, den der Typ gegenüber mir zuwirft. Danke. Keinen Bedarf.
Die Stimme weist mich darauf hin, dass ich an der nächsten Station aussteigen muss, wenn ich ins Brauhaus will, um mich Tom gegenüber zu verantworten, weil ich wieder mal zu spät bin.
Tom steht mir privat nach wie vor zur Seite und ich bin verdammt froh darüber, dass ich einen so guten Freund und Zuhörer in ihm habe. Mein Gewissen hat mich fest im Griff.
Ich öffne die Augen und sehe das Schild am Bahnsteig. Die Stimme hat gelogen. Ich muss jetzt raus!
Schnell schnappe ich meine Tasche und springe im letzten Moment aus der Tür. Geschafft. Fast wäre ich zu weit gefahren, was mich dann weitere zehn Minuten gekostet hätte. Zwei Stufen auf einmal nehmend spurte ich die Treppe hoch, durch die Einkaufsstraße an den noch geöffneten Geschäften vorbei und stürme durch die Tür vom Brauhaus . Am Tresen bleibe ich stehen und ringe nach Luft. Als ich den Kopf hebe, sehe ich Tom mit verschränkten Armen und einer angepissten Miene vor mir stehen.
»Sorry«, schnaufe ich. »Tut mir leid. Ich weiß, ich bin zu spät, aber ... ich mach’s wieder gut. Versprochen.« Bevor er mit mir meckern kann, gebe ich ihm einen Kuss auf die Wange und schiebe mich an ihm vorbei nach hinten, um meine Sachen zu verstauen und mich in meine Schürze zu schmeißen.
»Warum kann ich dir nur nie böse sein«, höre ich Tom mir noch hinterherrufen. »Auch wenn ich es sollte! Jo! Wenn das nochmal vorkommt ...« Ich hebe im Weggehen die Hand und winke ab. Nein, das wird nicht nochmal vorkommen . Das nehme ich mir fest vor. Wirklich.
»Das ist Ben. Ben darf ich dir Jo vorstellen? Die Seele des Hauses.« Tom steht neben einem jungen Mann und grinst mich an. Ich stutze. Nicht, weil ein gutaussehender Typ neben Tom steht. Das ist ja nichts Neues. Aber, dass er ebenfalls eine Schürze mit dem Logo des Brauhauses trägt, irritiert mich etwas. Ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch und blicke Tom an, während ich Bens mir hingestreckte Hand ergreife. Er hat einen festen Händedruck, wie mir auffällt. Das mag ich. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man eine schlaffe Hand drücken muss. Auch sind seine Hände gepflegt. Ich beiße mir auf die Lippe und grinse in mich hinein, als ich merke, dass der Grund meiner Verspätung rein gar nichts gebracht hat. John
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