Einmal ist keinmal
Wohnungstüren führten auf ein gemeinsames Treppenhaus. An allen Briefkästen hingen Namensschilder, nur nicht an dem, der zu Apartment 201 gehörte. Keiner der Namen lautete Morelli.
In Ermangelung eines besseren Plans beschloß ich, mein Glück mit der namenlosen Wohnung zu probieren. Das Adrenalin stolperte in meinen Adern, als ich die Treppe hochstieg. Oben angekommen, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Lampenfieber, sagte ich mir. Vollkommen normal. Ich holte ein paarmal tief Luft und überwand mich, weiterzugehen. Eine Hand klopfte an die Tür. Heilige Scheiße, es war meine Hand.
Auf der anderen Seite der Tür bewegte sich etwas. Jemand stand dahinter und beobachtete mich durch den Spion. Morelli? Ich war überzeugt davon. Die Luft blieb in meinen Lungen stecken, und mir tat die Kehle weh. Was wollte ich eigentlich hier? Ich war Einkäuferin für billige Unterwäsche. Was wußte ich denn schon davon, wie man einen Mörder fing?
Ich durfte einfach nicht daran denken, daß er ein Mörder war. Er war ein gemeiner Macho. Er war der Mann, der mich vom Pfad der Tugend abgebracht und hinterher die Einzelheiten in Mario’s Sub Shop an die Toilettenwand geschrieben hatte. Ich kaute auf meiner Lippe und gönnte dem Menschen am Türspion ein unsicheres Lächeln. Sicher konnte kein Macho der Versuchung widerstehen, sich eines dermaßen arglosen Dummerchens anzunehmen.
Noch immer tat sich nichts. Ich bildete mir fast ein, hören zu können, wie er in sich hineinfluchte, während er überlegte, ob es klug wäre, die Tür zu öffnen. Ich winkte zum Spion. Die Geste fiel eher zurückhaltend und auf keinen Fall bedrohlich aus. Sie sollte ihm nur zeigen, daß ich keine Gefahr für ihn darstellte, aber trotzdem wußte, daß er da war.
Ein Riegel glitt zurück, die Tür ging auf, und ich stand Morelli Auge in Auge gegenüber.
Seine Haltung war passiv-aggressiv, sein Ton leicht gereizt. »Ja?«
Er war stabiler gebaut, als ich ihn in Erinnerung hatte. Und er war wütend. Er hatte einen abwesenden Blick, der Zug um seinen Mund war zynischer als früher. Ich hatte einen Jungen gesucht, der im Affekt zum Mörder geworden war. Bei dem Mann, der vor mir stand, kam mir der Verdacht, daß er fähig war, mit professioneller Gefühllosigkeit zu töten.
Ich brauchte einen Augenblick, um mich zu fassen und mir eine Lüge auszudenken. »Ich wollte zu John Juniak.«
»Sie haben die falsche Wohnung erwischt. Hier gibt es keinen Juniak.«
Ich tat verwirrt und setzte ein verlegenes Lächeln auf. »Entschuldigung.« Ich wollte gerade die Treppe wieder hinunterflitzen, als Morelli das berühmte Licht aufging.
»Herr im Himmel!« sagte er. »Stephanie Plum?«
Den Ton kannte ich nur zu gut, und ich wußte auch, was er zu bedeuten hatte. Mein Vater schlug haargenau den gleichen Ton an, wenn der Hund der Smullens mal wieder an seinen Hortensien das Beinchen hob. Aber mir war das ganz recht. Damit waren die Fronten klar abgesteckt. Daß wir wohl nie ein Herz und eine Seele werden würden, stand fest. Das erleichterte mir die Arbeit.
»Joseph Morelli«, sagte ich. »Was für eine Überraschung.«
Er sah mich mißtrauisch an. »Ja, fast so eine Überraschung wie damals, als du mich mit dem Wagen deines Vaters über den Haufen gefahren hast.«
Um größeren Ärger zu vermeiden, sah ich mich gezwungen, eine Erklärung abzugeben. Aber ich fühlte mich nicht verpflichtet, sie besonders überzeugend zu gestalten. »Es war ein Unfall. Ich bin mit dem Fuß vom Pedal gerutscht.«
»Das war kein Unfall. Du bist absichtlich auf den Bürgersteig gefahren und hast mich verfolgt. Du hättest mich umbringen können.« Er steckte den Kopf aus der Tür und sah forschend in den Hausflur. »Also, was willst du hier? Hast du in der Zeitung von mir gelesen? Willst du mir das Leben jetzt noch mehr zur Hölle machen?«
Ich war so empört, daß sich mein ganzer schlauer Plan verflüchtigte. »Dein Leben ist mir scheißegal«, raunzte ich. »Ich arbeite für meinen Vetter Vinnie. Du hast deine Kautionsvereinbarung gebrochen.«
Gut gemacht, Stephanie. Wunderbare Selbstbeherrschung.
Er grinste. »Vinnie hat dich hinter mir hergeschickt?«
»Findest du das etwa witzig?«
»Kann man wohl sagen. Aber ich bin für jeden Witz dankbar, weil ich in letzter Zeit nicht besonders viel zu lachen habe.«
Ich konnte ihn verstehen. Hätte ich eine Haftstrafe von zwanzig Jahren bis lebenslänglich in Aussicht gehabt, wäre mir auch nicht zum Lachen zumute gewesen. »Wir
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