Einmal ist keinmal
einzusteigen, was sowieso höchst unwahrscheinlich war, hatte ich genügend Zeit, ihn zu stoppen.
Trotzdem, die leise Angst nagte weiter an mir.
Ich warf einen Blick aufs Fenster und sah den sich sacht im Wind bauschenden Vorhang. Schlagartig war mir alles klar. Als ich am Morgen aus dem Haus gegangen war, hatte ich das Fenster geschlossen und verriegelt. Jetzt stand es offen. Mich überlief ein kalter Schauer, und ich bekam keine Luft mehr.
Es war jemand in der Wohnung. Vielleicht lauerte er auch auf der Feuerleiter. Ich biß mir auf die Lippe, um nicht zu schreien. Bitte, lieber Gott, laß es nicht Ramirez sein. Mein Herz klopfte unregelmäßig, und mir wurde schlecht vor Angst.
Ich hatte nur zwei Alternativen. Ich konnte entweder zur Wohnungstür rennen oder die Feuerleiter hinunterklettern. Vorausgesetzt, ich konnte überhaupt die Füße bewegen. Weil es mir wahrscheinlicher erschien, daß Ramirez in der Wohnung war und nicht auf der Leiter, ging ich ans Fenster. Ich holte tief Luft, riß den Vorhang auf und starrte auf den Riegel. Er war geschlossen. In der Scheibe war ein kreisrundes Loch, durch das man den Arm stecken konnte, um das Fenster zu öffnen. Die kühle Nachtluft pfiff leise durch den ordentlich ausgeschnittenen Kreis.
Es sah ganz nach der Arbeit eines Profis aus. Vielleicht war es doch nicht Ramirez, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Einbrecher. Vielleicht hatte ihn meine Armut deprimiert. Vielleicht hatte er beschlossen, sich ein lohnenderes Objekt zu suchen und vor lauter Enttäuschung wieder hinter sich abgeschlossen. Ich sah auf die Feuerleiter hinaus. Sie war leer und sah höchst einladend aus.
Aber zuerst wollte ich die Polizei anrufen und den Einbruch melden. Das Telefon stand neben dem Bett. Ich hob ab, aber die Leitung war tot. Jemand mußte in der Küche den Stecker rausgezogen haben. Eine innere Stimme riet mir, die Wohnung schnellstens zu verlassen. Nimm die Feuerleiter, flüsterte sie. Beeil dich.
Schon war ich wieder am Fenster und nestelte am Riegel. Hinter mir bewegte sich etwas, ich spürte die Anwesenheit eines Eindringlings. Er spiegelte sich in der Scheibe, er stand in der offenen Schlafzimmertür, eingerahmt von dem schwachen Licht, das aus der Diele hereinfiel.
Er sagte meinen Namen, und mir sträubten sich sämtliche Haare wie bei einer unter Strom stehenden Katze in einem Zeichentrickfilm.
»Ziehen Sie den Vorhang zu«, sagte er, »und dann drehen Sie sich schön langsam zu mir um.«
Ich tat, was er sagte. Ich kniff im Dunkeln die Augen zusammen, blind vor Verwirrung. Ich erkannte die Stimme, aber ich begriff nicht, was sie hier wollte. »Was wollen Sie hier?« fragte ich.
»Gute Frage.« Er knipste das Licht an. Es war Jimmy Alpha, und er hatte eine Waffe in der Hand. »Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit«, sagte er. »Wie konnte es soweit kommen? Ich bin nämlich ein anständiger Mensch. Ich versuche, das Richtige zu tun.«
»Das Richtige zu tun, ist eine gute Sache«, sagte ich.
»Was ist mit Ihren Möbeln passiert?«
»Ich hatte eine finanzielle Durststrecke.«
Er nickte. »Dann wissen Sie ja, wie das ist.« Er grinste. »Haben Sie deshalb bei Vinnie angeheuert?«
»Ja.«
»Vinnie und ich, wir sind aus demselben Holz geschnitzt. Wir lassen uns einfach nicht unterkriegen. Und Sie scheinen vom gleichen Schlag zu sein.«
Ich ließ mich nicht gern mit Vinnie in einen Topf werfen, aber um des lieben Friedens willen verzichtete ich darauf, einem bewaffneten Mann zu widersprechen. »Könnte man sagen.«
»Interessieren Sie sich fürs Boxen?«
»Nein.«
Er seufzte. »Wir Manager warten unser Leben lang darauf, daß wir einen anständigen Boxer bekommen. Die meisten von uns sterben, ohne daß sie einen gefunden haben.«
»Aber Sie haben einen. Sie haben Ramirez.«
»Ich habe Benito schon unter Vertrag genommen, als er noch ein Junge war. Er war erst vierzehn Jahre alt. Ich wußte sofort, daß er anders ist als die anderen. Das sah man ihm an. Er hatte Energie, Power, Talent.«
Und Wahnsinn, dachte ich. Vergiß den Wahnsinn nicht.
»Alles, was er über das Boxen weiß, weiß er von mir. Ich habe ihm alles beigebracht. Ich habe ihm Kleider gekauft, wenn er kein Geld hatte. Ich habe ihn im Büro schlafen lassen, wenn seine Mutter im Crackrausch durchgedreht ist.«
»Und jetzt ist er ein Champion«, sagte ich.
Er lächelte gezwungen. »Das ist mein Traum. Mein Leben lang habe ich dafür gearbeitet.«
Allmählich wurde mir klar, worauf unser
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