Einmal Paradies und zurück
Mailbox.
»Paul, ich bin’s. Schon wieder. Ich versuche es jetzt ungefähr zum zehnten Mal und verstehe überhaupt nicht, warum du nicht zurückrufst. Es ist schon nach zehn, ich mache mir fürchterliche Sorgen, BITTE ruf mich an und gibt mir Bescheid, wo du bist und was los ist.«
Dann geht sie zurück zum Fernseher, fängt wieder an zu zappen, während ich neben ihr sitze und verzweifelt zu begreifen versuche, was hier eigentlich los ist. Dass Paul nicht mal angerufen hat. Perfect Paul! Na ja, aber in jeder Ehe gibt es wohl mal Durchhänger, auch wenn bei Kate und Paul immer alles so perfekt ausgesehen hat.
Kate landet bei der
Late Late Show
, wo irgendwelche glücklichen Menschen gerade von einem Luxusurlaub für zwei auf den Malediven erzählen. Auf einmal geht mir ein Licht auf: O mein Gott, die Lösung liegt doch auf der Hand! Klar, genau das brauchen Kate und Paul: ein bisschen Zeit für sich, ohne den ganzen Alltagsstress, ohne die Schwiegerfamilie und Pauls blöde Band. Warum ist mir das denn nicht schon viel früher eingefallen?
Ich warte also, bis Kate die Glotze abgestellt, die Haustür verriegelt und sich müde nach oben ins Bett geschleppt hat. Vor meinem inneren Auge sehe ich den Plan klar und deutlich: Ich pflanze ihr einen Traum in den Kopf, in dem sie mit Paul in einem lauschigen Fünf-Sterne-Hotel Strandurlaub macht. Sie mit einem Cocktail in der einen und einem netten Schmöker in der anderen Hand, er in einer knappen Badehose. Dazu noch die Sonne, ein Jacuzzi für zwei, Zimmerservice und Champagner, und schon hat man die wundervollsten Bedingungen dafür, dass die beiden wieder in Kontakt kommen und sich daran erinnern können, warum sie sich ineinander verliebt haben. Ein zweiter Flitterwochenurlaub wird ihre Ehe wieder ins richtige Fahrwasser zu bringen – mehr brauchen sie wahrscheinlich gar nicht.
Leider wälzt sich die arme Kate den größten Teil der Nacht schlaflos im Bett herum. Ich sitze neben ihr, warte und mache mir Sorgen. In den frühen Morgenstunden döst sie endlich ein, und ich nutze blitzschnell die Gelegenheit.
Los geht’s.
Kate träumt, dass sie auf einer Sonnenliege lümmelt und aufs kristallblaue Meer hinausblickt. Es ist heiß, sie hat eine riesige Victoria-Beckham-Sonnenbrille auf der Nase, trägt ein hübsches weißes Sommerkleid aus Leinen und nippt einen Cocktail, der unten grün anfängt und oben pfirsichgelb endet. Außerdem hat sie einen Strohhut auf dem Kopf. Keine Ahnung, wozu sie den braucht, denn sie gehört nicht wie ich zu den Unglücklichen, die keine Sonne vertragen und am Strand in null Komma nichts aussehen wie eine rotverbrannte, sommersprossige Fergie-Dpoppelgängerin. Abgesehen davon ist es aber ein guter Anfang.
Gelangweilt legt sie das Buch beiseite, lehnt sich zurück und schaut sich um. Auf einmal hört sie Musik, wie das in Träumen manchmal so ist. Eine Weile hört sie zu, dann merkt sie, dass es Paul ist, der da singt, »Something« von den Beatles, ihr absoluter Lieblingssong – der Song, zu dem sie bei der Hochzeit als Erstes getanzt haben. Super.
Sie steht auf und schlendert zurück zum Hotel, um Paul zu suchen, eilt durch die weitläufigen Marmorkorridore, späht in die Zimmer und ruft seinen Namen. Doch dann wird der Korridor plötzlich endlos lang, mit unzähligen Türen auf beiden Seiten. Kate beginnt zu rennen, wird panisch, reißt eine Tür nach der anderen auf, aber die Zimmer sind alle leer, und sie rennt weiter, immer schneller, während Pauls Stimme immer lauter wird. Sonst ist nur das Geklapper ihrer Sandalen auf dem Marmor zu hören, immer hastiger, doch auf einmal verändert sich auch der Boden und sieht aus wie der orange-braune Teppich in
Shining
… O nein, der Traum verwandelt sich in einen Albtraum!
Kate rennt weiter, begegnet Menschen, die sie unverfroren anglotzen, unter ihnen Promis wie Simon Cowell und Nicole Kidman, die einen Buggy vor sich herschiebt. Das Singen ist inzwischen ohrenbetäubend laut, und auf einmal ist der Korridor zu Ende. Kate steht vor einer Tür mit einem »Nicht stören«-Schild. Aber sie hämmert trotzdem dagegen.
Ich muss Kate nicht mal aus dem Traum holen, denn genau in diesem Moment wird unten an der Haustür ein Schlüssel ins Schloss gesteckt, und sie wacht schweißgebadet auf.
Puh.
»Paul? Bist du das?« Wie der Blitz ist sie aus dem Bett und rennt nach unten, wo er gerade seine Reisetasche auf den Flurtisch wirft.
Sie schauen einander kurz an. Paul sagt nichts, sondern
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