Einmal Paradies und zurück
Handumdrehen ist er aus der Tür und verschwunden.
»Kate«, platze ich heraus, denn ich kann nicht stillsitzen und zusehen, wie sich zwei Menschen, die ich so sehr liebe, gegenseitig fertigmachen. »Lauf ihm nach! Beweg deinen Hintern, umarme ihn und erklär ihm, dass das alles ein großes Missverständnis ist. Sag ihm, du glaubst nicht, dass du zu gut für seine Familie bist, sondern umgekehrt, dass sie zu gut für dich sind, weil sie alle Kinder und eine große Familie haben und du nicht. Das macht dich unsicher und streitlustig. Die Tragik an der Sache ist nicht, dass du keine Kinder hast, denn du wirst schon noch welche bekommen, sondern dass du deine Beziehung davon beeinflussen lässt und einen Keil zwischen dich und den tollsten, einfühlsamsten, liebevollsten Mann treibst, den eine Frau sich nur wünschen kann. Warum bist du nicht einfach dankbar, dass du einen anständigen Kerl gefunden hast, der alles für dich tun würde? Los, Kate, lauf ihm nach. Jetzt sofort, steh auf!« Großartige Rede, denke ich, als ich kurz innehalte, um Luft zu holen. Schade, dass sie kein Wort davon hören kann. »Na gut, stell dir vor, er hätte einen Unfall wie ich? Ich wette, dann würde dir jetzt alles leidtun, was du gesagt hast.«
Ein verschwendeter Versuch, Schuldgefühle bei ihr zu wecken. Sie liegt auf dem Bett und starrt trübsinnig an die Decke. Nicht mal, als die Haustür krachend hinter Paul ins Schloss fällt, zuckt sie mit der Wimper. Aber dann springt sie plötzlich auf, reibt sich den Bauch, als hätte sie Krämpfe, und geht zur Toilette. Ich folge ihr nicht, denn sogar die Engel respektieren eine gewisse Privatsphäre. Kurz darauf höre ich die Spülung, dann kommt Kate zurück ins Schlafzimmer, zieht eine Kommodenschublade auf, wühlt darin herum und holt schließlich eine Schachtel Tampons heraus. Ah, verstehe. Das war es also.
Und auf einmal weiß ich, was ich tun muss. Sie macht es mir echt leicht. Ein Kinderspiel. Sich noch immer den Bauch reibend, geht sie zurück ins Bad und knallt die Tür hinter sich zu. Eine Minute später ist sie wieder da, fischt aus der Nachttischschublade ein paar Paracetamol, steigt ins Bett und spült die Tabletten mit einem Glas Wasser herunter. Wenige Minuten später schläft sie, wenn auch sehr unruhig.
Gut. Das ist mein Stichwort.
Als Nächstes bin ich wieder zu Hause. Das heißt, in Mums Haus, aber so, wie es vor zehn, elf Jahren war: schlammbrauner Teppich, der inzwischen längst nicht mehr existiert, Raufasertapete, getupfte Decke. Ih. Dann noch das eklige Schaffell vor dem Kamin, und man weiß sofort: Dies ist das Haus der Geschmacksverirrungen. Der Stolz der Sammlung ist allerdings die 3 D-Herz-Jesu-Lampe direkt über dem Fernseher, mit einer blutroten Flamme – ein Souvenir, das Mum vor ein paar Jahren von ihrer Romreise mit der kirchlichen Frauengruppe mitgebracht hat. Damals hat sie vor der gesamten Nachbarschaft damit angegeben, sie hätten eine Audienz beim Papst, worunter sie sich vorstellte, dass sie mit Johannes Paul II . in seinem Wohnzimmer ein Tässchen Tee trinken und er sie fragen würde, ob sie einen schönen Urlaub hätten. In der Realität sah es dann so aus, dass man sie mit dreitausend anderen Pilgern in einen großen Konferenzsaal pferchte und ein Würdenträger, von dem alle glaubten, es wäre der Papst – sichtbar nur als weißes Pünktchen am Horizont –, einen Segen sprach. Später stellte es sich heraus, dass es nur einer der päpstlichen Berater gewesen war. Dann wurde Mums Freundin Nuala auch noch von einer unbekannten Person in den Hintern gekniffen, und jetzt seufzt Mum jedes Mal, wenn sie die anstößige Lampe ansieht, und sagt: »Die hab ich an dem Tag gekauft, als die arme Nuala auf dem Petersplatz so fies angegrapscht wurde. Schrecklich sexsüchtiges Volk, diese Italiener.«
Jedenfalls habe ich meine Schuluniform an und schaue eine Folge von
Sex and the City
, während Mum mir die Fernbedienung zu entreißen versucht, weil sie lieber
Midsomer Murders
, ihre damalige Lieblingssendung, sehen möchte.
»Ach, komm schon, du hattest den ganzen Tag Zeit fernzusehen«, argumentiere ich. »Ich hab morgen früh meine mündliche Irischprüfung, und
Sex and the City
hilft mir abzuschalten. Wenn ich keine bessere Note kriege als Nualas Tochter, kannst du nicht mit meinem Erfolg angeben.«
Als ich noch zu Hause gewohnt habe, hat diese Taktik immer gut funktioniert.
»Nein, Charlotte. Ich weigere mich, vier Frauen zuzusehen, die nur
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