Einmal Paradies und zurück
praktischen Tweedrock und flache, bequeme Latschen.
»Wie komm ich dazu, wie eine Oma rumzulaufen? Bin ich vielleicht unterwegs zu einer Kostümparty und habe beschlossen, als Barbara Bush zu gehen?«, erkundigt Fiona sich und steht auf, um sich im Spiegel über dem Kamin zu betrachten. »Jesus, Maria und Joseph, was hast du mit mir angestellt? Du hast mich ja in ein Model für Leberflecke verwandelt. Ich hab dich wirklich lieb, Charlotte, aber im Moment ungefähr so wie eine Frostbeule.«
Dabei ist sie eigentlich recht gut gealtert – mit über siebzig ist man eben nicht mehr frei von den Zeichen der Abnutzung. Aber ihre Haare sind ordentlich wassergewellt, und ihr Gesicht verschwindet fast unter einer monströsen Brille.
»Ich sehe echt aus wie meine Großmutter«, stammelt sie. »Himmel, ich rieche sogar wie sie«, fügt sie hinzu und schnuppert an ihrem Handgelenk. »Lily of the Valley von Yardley. Das Lieblingsparfüm aller Seniorinnen. Charlotte, ich hasse das! Kannst du uns bitte möglichst schnell hier wegholen? Oder mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, damit ich aus diesem Albtraum aufwache?«
»Nein, jetzt noch nicht«, antworte ich fest. »Schau dich erst mal um.«
Auf einmal fällt ihr Blick auf den Fernseher. Gerade hält der König seine Weihnachtsansprache.
»Der König?«, murmelt sie und starrt verwundert auf den Bildschirm.
»Wir schalten jetzt live nach Sandringham House«, sagt der Sprecher gerade. »Von dort wird König William zur Nation sprechen.«
»König William?«, stottert Fiona ungläubig, schnappt sich die Fernbedienung und fängt an zu zappen. Auf Channel Four sind Nachrichten dran, mit einem Beitrag über Clintons Besuch bei den Opfern der globalen Erwärmung in Alaska. Präsidentin Chelsea Clintons Besuch.
»Was …? Was zum Henker ist denn da los …?«, will Fiona wissen. Dann entdeckt sie eine Weihnachtskarte, die auf dem Fernseher steht, und greift sie sich. Außen drauf steht: »Fröhliche Weihnachten und alles Gute für 2050 !«
»Zweitausendfünfzig?«, stammelt sie verwirrt und klappt die Karte auf.
»Liebe Miss Wilson, wir wünschen Ihnen wunderschöne Weihnachten und ein zauberhaftes neues Jahr. Wir vermissen Sie sehr hier am Loreto-College, ohne Sie ist einfach nichts mehr, wie es mal war! Aber wir hoffen, Sie genießen Ihren Ruhestand und kommen uns bald einmal besuchen.«
»Dann bin ich also ungefähr … siebzig?«
»Ja, richtig. Uns allen voraus, weißt du.« Na ja, allen außer mir.
»Aber …« Sie zögert und schaut sich weiter um, als würde ihr allmählich die schreckliche Wahrheit dämmern. »Charlotte … warte mal … es ist Weihnachten, stimmt’s?«
»Der fünfundzwanzigste Dezember, ja.«
»Und … ich bin hier. Ich wohne immer noch im selben Haus …«
»Korrekt.«
»Immer noch unverheiratet … auf der Karte steht ja Miss Wilson …«
»Ja, Liebes, du hast nie geheiratet.«
»Und … ich bin allein. ALLEIN . An Weihnachten.«
»Na ja, was hast du erwartet? Du hast dir dieses Leben ausgesucht, Fiona. Sieht nicht sehr vergnüglich aus, oder?«
»Da hast du leider recht«, sagt sie und sinkt wieder aufs Sofa, schön langsam, wie es sich für eine alte Frau gehört. »Charlotte, schau mich an. Ich bin eine erbärmliche, traurige und einsame Person! Ich weiß, es ist bloß ein Traum, aber trotzdem …«
Ihre Augen füllen sich mit Tränen, aber sie reißt sich schnell zusammen. »Jedenfalls«, faucht sie. »Jedenfalls würde ich an Weihnachten niemals allein sein. Sondern mindestens bei meinen Eltern.«
»Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber deine Eltern sind schon lange tot, Süße. Und dein Bruder und seine Familie sind beim Skifahren.«
»Und was ist mit meinen anderen Freunden?«
»Die feiern mit ihren Kindern und Enkeln. Für den zweiten Feiertag haben sie dich eingeladen, aber Weihnachten ist ein Familienfest, und du wolltest ja keine Familie, erinnerst du dich? Glaub mir, ich bin höchst ungern die Überbringerin schlechter Nachrichten, aber das hier ist das Leben, für das du dich entschieden hast.« Gott, manchmal hasse ich es wirklich, ein Engel zu sein. Die liebevolle Strenge, die man den Menschen angedeihen lassen muss, kann einem ganz schön an die Nieren gehen. Ich setze mich neben die arme gebeutelte Fiona und nehme ihre Hand. »Dein Pech war, dass du deinen Seelenpartner so jung kennengelernt hast. Das ist alles. Jetzt ist er allein, und du bist allein, aber du willst ihn nicht mal anrufen. Ja,
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