Einmal Paradies und zurück
er hat einen Fehler gemacht, als er Ayesha geheiratet hat, aber Fehler sind nun mal menschlich, stimmt’s? Himmel, du brauchst dir ja bloß den Volltrottel anzuschauen, an den ich fünf Jahre meines Lebens verschwendet habe, dann hast du schon den Beweis dafür. Lass dich nicht von deinem Stolz zu so etwas verleiten«, sage ich und gestikuliere in die Umgebung.
Mit roten, geschwollenen Augen sieht sie mich an.
»Fiona Wilson, wir alle haben Chancen verpasst. Aber du hast die seltene Gelegenheit, etwas wiedergutzumachen.«
Dann ist sie plötzlich hellwach, sitzt kerzengerade im Bett und schwitzt. Natürlich kann sie mich jetzt nicht mehr sehen, aber ich bin direkt neben ihr und versuche sie zu beschwören, dass sie Tim anruft. Auf ihrem Nachttisch steht ein Radio, das leise läuft, und gerade beginnen die Zehn-Uhr-Nachrichten. Es ist also noch relativ früh.
»Komm schon, los, Mädchen, du kannst es«, flüstere ich ermutigend. »Alles wird gut, das verspreche ich dir. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man das Leben bei den Hörnern packen muss.«
Tatsächlich steht sie auf, wirft sich eine Jacke über und wandert ein bisschen im Zimmer herum. Diesmal ist es ein Tänzchen zu der Melodie: »Soll ich oder soll ich nicht?«
Schließlich nimmt sie ihr Handy, legt es dreimal wieder weg und holt es wieder.
»Okay«, murmelt sie dann. »Wenn es nur klingelt, dann war es eine blöde Idee. Dann soll es nicht sein. Der letzte Beweis sozusagen, dass wir nicht zusammenkommen sollen. Wenn ich die Mailbox drankriege, gibt es eine winzigkleine Hoffnung für uns. Aber wenn er drangeht … ach Scheiße …«
Sie wirft sich aufs Bett, ihre Entschlossenheit wankt, und ich weiß genau, was sie jetzt mehr als alles andere braucht. Ein Zeichen. Ich konzentriere mich wie noch nie in meinem ganzen Leben, sorry, ich meine natürlich in meinem Tod, und da passiert es.
Die Nachrichten sind zu Ende, der Moderator fängt an zu quasseln. Er klingt jung und doof – ich schätze ihn auf ungefähr zwölf.
»Okay, hier haben wir einen ganz speziellen Wunsch für einen Oldie, und zwar für euch alle am Loreto College. Ihr habt echt einen irren Geschmack, aber ihr wolltet es so, also, los geht’s … mit Sid Vicious and the Sex Pistols und ›Pretty Vacant‹.«
Herr des Himmels! Das war ihr Song, der Song von Fiona und Tim! Nicht unbedingt romantisch und verschmust, aber ihr Song. Keine Ahnung, wie es passiert ist, ich weiß nicht mal, ob wirklich ich es verursacht habe, aber egal, Hauptsache, es wirkt. Und tatsächlich: Ohne eine Sekunde länger zu zögern, greift Fiona zum Telefon und wählt. Es klingelt einmal … zweimal … dreimal …
»Hallo? Tim? Hi! Äh … du glaubst bestimmt nicht, wer dran ist!«
Und auf einmal ist es ganz leicht. Nicht dass ich die beiden belausche oder so, aber sie plaudern über eine Stunde, lachen und machen Witze und nehmen offensichtlich genau dort den Faden wieder auf, wo sie ihn vor langer Zeit verloren haben, wie man es nur mit Menschen machen kann, die man von Herzen gernhat. Kurz bevor Fiona auflegt, sagt sie, ja, selbstverständlich kann Tim sie morgen anrufen, und nein, sie war noch nie in diesem Restaurant, aber sie hat Lust, es am Wochenende mal auszuprobieren.
Euphoriewellen durchfluten mich, als Fiona wieder ins Bett steigt und sich wohlig unter die Decke kuschelt. Für den Ausdruck reiner Glückseligkeit auf ihrem Gesicht lohnt es sich zu sterben. Gerade als sie einnickt, piept ihr Handy, und eine Nachricht trifft ein. Schon wieder eine Mail von diesem Schäferhundfan, in der steht, wenn sie chinesisches Essen nicht mag, dann könnten sie am Wochenende auch anderswo essen gehen.
Aber Fiona macht sich nicht mal die Mühe, bis ans Ende des Texts zu scrollen, sie löscht die Nachricht einfach, knipst das Licht aus und schläft ein.
Anscheinend hat sie was begriffen. Endlich.
Kapitel 16
Kate
Für Kate habe ich auch wieder einen Traum. Er spielt sechs Monate in der Zukunft: Sie sitzt wieder an Dorngestrüpps Küchentisch in Galway, wo wie immer ein Trubel herrscht wie in der Grand Central Station. Kinderhorden rennen raus und rein, streiten und werfen sich alle möglichen Schimpfworte an den Kopf, von denen sie nicht wissen, was sie bedeuten. Auch alle drei Horrorschwägerinnen sind anwesend – man könnte fast meinen, dass sie zu einer religiösen Sekte gehören, nach deren Regeln die gesamte Großfamilie unter einem Dach wohnen und am gleichen Tisch essen muss.
Aber
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