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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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und Ledermöbel; sie hätte ein sehr behaglicher Leseraum sein können, war es aber nicht. Sie war dunkel, unfreundlich und kalt, und der Kamin – wie alle Kamine im Fichtenhain – innen gescheuert und poliert und niemals von Flammen beleckt worden.
    Die Bücher waren Stiftungen. Nebeneinander und uns zur Verfügung standen hier: „Begegne dir, wie du wirklich bist“, „Meine Hand ruht in Jesu Hand“, „Hans Brinker oder die silbernen Schlittschuhe“, „Väterchen Langbein“, „Psychologie und industrielle Leistungsfähigkeit“, „Dunkle Schönheit“, „Frauen im Büro“, „Elisabeth und ihr deutscher Garten“, „Der Zauberberg“, „Fern der Heimat“, „Das Volk soll es wissen“, „Tagebuch einer Seefahrt“, „Der Siegeszug des Brotes“, „Polyanna“ und „Über dem Gipfel“ von Guy Empey.
    Jeden Tag und bei jedem Wetter machten die Acht-Stunden-Patienten einen Spaziergang. Um 3 Uhr zogen wir uns an, wozu auch Hüte oder Kopftücher gehörten, versammelten uns zum Appell in der Bibhothek und gingen dann gemeinsam zum Lager und wieder zurück. Das Lager, etwa einen halben Häuserblock von der Ambulanten-Station entfernt und reizend zwischen einer kleinen Baumgruppe gelegen, führte außer Puffmais, Keksen, Schokolade, Kaugummi und Tinte, Tafeln und Bleistiften noch allen Zubehör und das notwendige Material für die Herstellung von Zehenschonern.
    Solange ich in der Ambulanten-Station war, gingen wir zweimal unter der Aufsicht einer der netten jungen Schwestern, die uns an den Farmen vorbeiführten, einen gewundenen Pfad hinunter und durch ein kleines Wäldchen, das von Iris umsäumt und am Boden mit rosa Sternblumen besät war, und zu einer großen Blockhütte. Die warmen Kiefernnadeln knirschten unter unseren Füßen und weckten Erinnerungen an Wanderungen und Gartenfeste daheim, die leere Blockhütte roch köstlich nach leerer Blockhütte, und die Oberschwester und Miß Zehenschoner waren weit, weit fort.
    Einmal im Monat wurde ein Film gezeigt; da aber Miß Gillespie entschied, wer von den Patienten dafür in Frage kam, wurden Sheila und ich während der Zeit in der Ambulanten-Station nur zu einem einzigen Film eingeladen. Kimi wurde zu allen aufgefordert, bheb aber aus Solidarität mit uns zu Hause.
    Bei meinem einzigen Film, „Königin Victoria“, saß ich hinter Delores, und als Victoria auf der Leinwand vor dem Essen ihren Sherry trank, knuffte sie mich und flüsterte sehr heiser, sehr hörbar: „Jesus, Betty, wie das wohl ist, wenn man mal wieder ein paar kippt?“
    Nach dem Kino erhoben sich alle männlichen Patienten wie auf ein Kommando und versuchten vor oder hinter Pixie und Delores zu kommen, die ein Zimmer bewohnten und tödliche Rivalinnen waren. Pixie war klein und herrlich gewachsen, trug Pastellfarben und eine Hochfrisur und war elegant. Delores trug ihr fast bis an die Taille reichendes Haar offen, enge, hellrote Kleider, helles Lippenrot, hellrote Schuhe und war betörend. Sie machten die Oberschwester rasend, aber Miß Gillespie liebte sie. Sie fanden alle ihre Zehenschoner „schick“, und Delores schuf unter ihrer Aufsicht zehn zementharte, gefältelte Boudoirkissen, Pixie eines von den „Dies ist ein Handtuch“-Kästchen, einen gestrickten Einkaufsbeutel und Hunderte von süßen Erbsen aus Kreppapier.
    Am Hospital-Tag, dem 12. Mai, durften wir von 9 bis 12 Uhr 30 und von 2 bis 4 Uhr am Nachmittag so viel Besuch haben, wie wir wollten. Sogar frühere Patienten, die gewöhnlich im ersten Jahr nach ihrer Entlassung nicht auf das Gelände des Sanatoriums durften, konnten zu Besuch kommen.
    Der Tag war warm und klar, die Pappeln an der Auffahrt glitzerten und schwankten im sanften Wind, und um 8 Uhr 30 war das ganze Krankenhaus erfüllt von Erwartung und dem Duft frischgemähten Rasens. Anne, Joan, Mutter, Alison, Mary, Madge, Cleve, Margaret, Freunde von außerhalb, alle kamen sie an.
    Anne und Joan trugen ihre dunkelblauen Mäntel und fragten mich die geschlagenen fünfeinhalb Stunden, ob sie Holzschuhe haben dürften; ich hatte ganz das Gefühl, falls ich sterben sollte, würden sie am traurigsten darüber sein, daß sie nun die Holzschuhe nicht bekämen. Kurz vor dem Mittagessen zog ich mich an, nahm die Kinder auf die Wandelgänge mit und stellte sie meinen Freunden vor. Nach den ersten vier oder fünf Begrüßungen brauchte ich ihnen auch nicht mehr ganz so heftig die Köpfe nach unten zu drücken, damit sie ja einen höflichen Eindruck erweckten.
    Kimi

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