Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
wollten, die alles erstickten. Ihre zimmetbraune Rinde schälte sich auf und gab Flecken von blaßgrüner Haut frei. Da und dort standen vereinzelte Fichten, mit steifen Zweigen und hochgenommenen grau-grünen Röcken. Hier draußen war alles voll Duft und Schönheit und wurde es immer mehr, als wir dem Fichtenhain und meiner Einkerkerung unentrinnbar näher und näher kamen.
    Wir fuhren über eine lange, pappelbestandene Auffahrt in den Fichtenhain ein. Zu beiden Seiten sah man große, weinberankte Tudor-Häuser, wellige Rasenflächen, Treibhäuser und herrliche Gärten. Es hätte irgendein kleines, von Privatstiftungen unterhaltenes College sein können, nur fehlten die lachenden, unter den Bäumen schlendernden Gruppen. Ja, das einzige Lebenszeichen weit und breit war eine Schwester, die von einem Haus auf ein anderes zuflatterte wie ein weißes Stück Papier im Wind. Wir parkten den Wagen, teilten uns in das Gepäck und gingen die Backsteinstufen des Hauptgebäudes hoch. Es hatte eine große, dunkle Diele mit hohen, in Blei gefaßten Fenstern, Steinfliesen und dunklen Holzpaneelen. Schwach erleuchtete Korridore strahlten von dieser Mitte aus, und wir alle blieben unschlüssig stehen und überlegten, in welchen wir gehen sollten. Nirgends war jemand zu sehen. Kein Laut. Mary sagte: „Daß deine Ankunft solche Sensation machen würde, hätt’ ich nie gedacht!“, und schon schoß hinter einem hohen Pult eine Schwester hoch und sagte: „Schschscht“. Das erschreckte Madge so sehr, daß sie die vier großen Bücher, die sie im Arm hatte, fallen ließ. Sie krachten auf den Boden, und der Lärm grollte die Korridore entlang wie verstreute Murmeln.
    Die Schwester blähte die Nüstern und biß die Lippen zusammen. Ich stürzte an das Pult und erklärte, daß ich die Patientin sei. „Wir haben Sie erwartet,“ sagte sie. In ihrer Stimme schwang die gleiche wilde Begeisterung, die man im allgemeinen Gerichtsdienern zuschreibt. Sie fragte: „Ihr voller Name, Mrs. Bard?“ „Ich heiße Miß Bard. Miß Betty Bard. Im Geschäftsleben nenne ich mich immer mit meinem Mädchennamen und…“
    Der Rest dessen, was ich sagen wollte, sickerte mir wieder die Kehle hinunter, denn die Schwester sah mich an mit Augen, die man hätte herausnehmen und als Diamantbohrer verwenden können. „Haben Sie Kinder?“ fragte sie. „Ja,“ antwortete ich und hätte unwillkürlich fast hinzugefügt; „Herr Staatsanwalt.“ Sie sagte: „Dann sind Sie Mrs. Bard.“ – „Wenn Sie mich schon Mrs. nennen wollen, warum nehmen Sie dann nicht den Namen meines Mannes?“ wollte ich wissen. Sie sah mich eine ganze Minute lang mit dem gleichen Blick an und sagte: „Hier auf der Karte steht es doch,“ sie klopfte mit einem langen schwarzen Federhalter darauf. „Mrs. Bard. Hier bei uns sind Sie Mrs. Elizabeth Bard.“
    Dann hörte sie sich meine Geschichte an, drang in mich, stellte jede meiner Antworten in Frage und machte im ganzen den Eindruck, als konstruiere sie einen Fall, mit dem sie beweisen wollte, daß Tuberkulose in Wirklichkeit eine Geschlechtskrankheit sei. Als sie fertig war, gab sie mir einige Papiere zur Unterschrift, ein kleines Buch „Sanatoriums-Ordnung“ und versetzte mir einige markante Tatsachen im Hinblick auf Besucher. Diese Tatsachen schleuderte sie mir entgegen wie Pfeile auf eine Zielscheibe.
    Sie lauteten: 1. Die Kinder durften mich nur einmal im Monat für zehn Minuten besuchen. 2. Donnerstags und sonntags von zwei bis vier Uhr durfte ich drei erwachsene Besucher haben. 3. Wenn mein Besuch zu früh kam, zu lange blieb, laut war, gegen die Vorschriften verstieß oder über die bewilligte Zahl von drei Personen hinausging, würde man mir die Besuchserlaubnis auf unbegrenzte Zeit streichen.
    Dann beugte sich Florence Nightingale über ihr Pult und wies mit ihrem Federhalter einen der langen Flure hinunter auf ein Wartezimmer. Daß sie sich unpersönlich verhielt, ließ sich nicht abstreiten; aber sie war auch die allerunangenehmste Frau, die mir je begegnet war.
    Das Wartezimmer hatte breite Flügelfenster, einen herrlichen Blick auf den Garten, eine Überfülle von Möbeln, einen unberührten Kamin, dessen Ziegeln bis in den Schornstein hoch gescheuert und poliert waren, und weder Zeitschriften noch Aschenbecher. Wir stellten unsere Koffer ab, suchten uns Plätze aus, setzten uns und versanken sofort in Schweigen. In jene Art von allumfassendem Schweigen, bei der das Schnappen eines Taschenverschlusses wie ein

Weitere Kostenlose Bücher