Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
tun wolle. Alles und jedes, damit ich gesund würde. Er stand auf und legte mir den Arm um die Schulter. „Das ist die richtige Haltung,“ meinte er, was sehr lieb von ihm war in Anbetracht der Tatsache, daß er gerade auf meiner Karte notiert hatte: „Prognose – zweifelhaft.“
    Als wir nach Hause kamen, hatte Mutter ihr Bett für mich aufgedeckt, und es tat sehr gut, sich in die Kissen zurückzulehnen und zu wissen, daß die schreckliche Mattigkeit und dumpfe Ermüdung ein Teil der Krankheit und darum entschuldbar waren. Zu Mittag bekam ich Hühnersuppe, frischen Pfefferkuchen und heißen Tee. Appetitlosigkeit hatte nie zu meinen Symptomen gehört. Den ganzen Nachmittag rief Mutter Bekannte an und fragte: „Habt Ihr schon von Betty gehört?“ und den ganzen Abend riefen Bekannte bei uns an und sagten: „Wir haben gerade von Betty gehört.“ Die Kinder, die die Schwelle zu meinem Zimmer nicht überschreiten durften, kamen von der Schule nach Hause gerannt, standen dann in der Tür, machten hilflose Gesichter und versuchten, Brocken der Unterhaltung aufzuschnappen.
    Marys Mann rief an, daß die ganze Familie sich durchleuchten und den Mantoux-Test machen lassen müßte. Gewichtig erklärte ich den versammelten Angehörigen, daß der Mantoux-Test aus einer Tuberkulin-Injektion in den Unterarm bestehe. Wenn der innerhalb weniger Tage anschwelle und sich röte, sei das Ergebnis positiv, wenn nicht, negativ. Daß annähernd achtzig Prozent aller Mantoux-Teste bei Erwachsenen positiv seien, ein positiver Test aber nicht besage, daß der Betreffende aktive Tb habe. Damit sei nur bewiesen, daß er irgendwann einmal Tuberkulose gehabt habe und geröntgt werden sollte.
    Alle miteinander waren hoch beglückt von der Aussicht, wegen des Testes von der Schule oder der Arbeit wegbleiben zu können.
    Am nächsten Nachmittag kamen sämtliche Familienmitglieder strahlend über ihre ausgezeichnete Gesundheit und ihre makellosen Lungen um drei Uhr vom Arzt zurück. Sie saßen alle auf meinem Bett, tranken Kaffee und sogen Rauch in ihre gesunden Lungen, als es an der Haustür klingelte. „Herein, herein!“ riefen sie in der Annahme, daß es eine von Alisons Schulfreundinnen sei. Die Klingel schellte weiter, und sie schrien: „Komm doch rein, Dickkopf! Wir sind alle oben in Bettys Zimmer.“
    Vorsichtig öffnete sich die Haustür und eine kräftige Altstimme rief: „Wohnt hier Elizabeth Bard?“
    Anne mußte nach unten und nachgucken, wer es sei. Sie war sofort wieder zurück, halb erstarrt vor Aufregung. „Eine Schwester,“ sagte sie. „Sie kommt rauf.“ Madge, Alison und Dede saßen auf dem Bett, Mutter in einem kleinen Schaukelstuhl daneben. Joannie lehnte in der Tür. Die Nachttische, der Sekretär, die Kommode und die Nähmaschine waren zugedeckt mit Kaffeetassen, Aschenbechern, Büchern, Zeitschriften, Mänteln, Hüten und Taschen. Die Luft war blau von Rauch.
    Bei Annes Ankündigung sprang jeder schuldbewußt hoch und fing an, Gegenstände zu ergreifen und an andere Stellen zu legen. Eine Tasse mit kaltem Kaffee, in dem eine aufgeweichte Zigarette schwamm, und ein Aschenbecher mit vielen Zigarettenstummeln und den Kerngehäusen zweier Äpfel blieben auf meinem Nachttisch stehen. Die Schwester kam herein, eine untersetzte, kleine Frau mit einer Stahlbrille, wehenden dunkelblauem Cape und einem braunen Lederbeutel. Unter Schnaufen und Räuspern ging sie schnurstracks auf die Fenster zu und riß sie auf. Die Familie verzog sich ins Treppenhaus. Die Schwester fächelte mit der Hand durch die Luft um mich herum und stellte eine Menge Fragen nach meinem Befinden.
    Dann öffnete sie ihren kleinen Beutel und entnahm ihm: einen braunen Papiersack, den sie aufschüttelte und mit zwei Sicherheitsnadeln neben dem Kissen an der Matratze ansteckte, einen Stapel kleiner quadratischer Papiertaschentücher, ein kleines Buch „Du hast Tuberkulose“ und eine Liste der Sachen, die ich im Sanatorium brauchen würde. Auf der Liste standen: drei Flanellschlafanzüge, ein wollenes Kleid, ein Paar Pantoffel, Wolljacken, drei Waschlappen, Seife, Zahnpasta, Zahnbürste, Metallwärmflasche, Kosmetika nach Wunsch.
    Sie beugte sich vor, kramte weiter in ihrem Beutel herum und kam dann mit folgender Mitteilung heraus: Ich hätte Lungentuberkulose; mein Auswurf sei positiv; selbst wenn ich mich räusperte, müßte ich mir erst ein Taschentuch vor den Mund halten; alle Taschentücher müßten in den braunen Papierbeutel geworfen werden; die

Weitere Kostenlose Bücher