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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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Mutter hielt mit ihrer Philosophie eine mittlere Linie irgendwo zwischen den beiden Richtungen, und diese Haltung der Mittleren Linie beabsichtigten wir auch am Tage meiner Abreise einzunehmen.
    Ich erwachte früh bei beschlagenen Fensterscheiben und Nebelhörnern; den dumpf tönenden Schritten des Zeitungsjungen, auf die das Aufklatschen der Zeitung in der Diele folgte; einer wohlgemut und auf ihrer ersten Fahrt noch leer vorbeirasselnden Straßenbahn; einem knallend zugeschlagenen Fenster auf der anderen Straßenseite; dem Dröhnen der Haustür und ein paar kurzen, vergnügten Kläffern, als Mutter die Hunde hinausließ; den stöhnenden Seufzern vom Anlasser eines Wagens irgendwo in der Seitenstraße; dem polternden Donner einer zweiten Straßenbahn, die die zwei Querstraßen entfernte Brücke über den Hohlweg im Park kreuzte.
    Schließlich fragte Anne geradezu: „Wirst du jetzt sterben, Betty?“ Natürlich nicht, meinte ich. Das sei doch lächerlich. Darauf Joan: „Bessie hat Tuberkulose gehabt, und die ist gestorben.“ Bessie war eine Schulfreundin von Alison, und bis dahin hatte man mir ihre Krankheit und ihren Tod taktvoll verschwiegen. Ich sagte: „Sie muß sehr viel kränker gewesen sein, als ich es bin.“ Anne fragte: „Bist du zu Weihnachten wieder zu Hause?“ Ich entgegnete, das wisse ich noch nicht, worauf Joan sagte: „Mr. Bartlett nimmt sich seine Zähne raus und spritzt sie mit dem Gartenschlauch ab.“ Der Abschied war überstanden. Es war Zeit aufzustehen.
    Trotz unserer guten Vorsätze blieben die Kinder von der Schule weg, und nichts ging seinen normalen Gang, aber irgendwie gelang es mir doch, alle meine hunderttausend Kleinigkeiten unter Dach und Fach zu bringen und mir vor zwei Uhr noch eine Dauerwelle machen und das Haar ganz kurz schneiden zu lassen.
    Der Abschied bekam dann durch die matte Herbstsonne und die ausgelassenen Hunde etwas vom Aufbruch zu einer Landpartie, aber als ich die Stufen des alten Hauses mit seinem braunen Ziegeldach hinunterging, bemerkte ich trotzdem melancholisch zu Dede, daß ich mir vorkäme wie eine Entenmuschel, die von ihrem Fels abgerissen sei. Mit einem flüchtigen Blick auf mein kurzes, viel zu krauses Haar meinte sie trocken, daß ich auch wirklich ganz so aussähe.
    Als wir losfuhren, drehte ich mich um und winkte den Kindern zu, wieder und noch einmal. Sie standen auf dem Bürgersteig und blinzelten in die Sonne. Jung, langbeinig und schutzlos. Ich hatte sie so lieb, daß ich spürte, wie mein Herz überfloß, und ich im stillen dachte, ob wohl eine Spur zurückbliebe, so wie der Weg einer Schnecke sich als blanker Streifen abzeichnet.
    Der Fichtenhain lag mehrere Kilometer außerhalb der Stadt, und für eine Wagenfahrt war es ein herrlicher Tag, aber dennoch schlichen sich ständig so scheußliche Ausdrücke wie „der letzte Kilometer“, „der letzte Platz“ trübselig in meine Gedanken ein, wenn ich auf leuchtende Gärten mit Dahlien, Zinnien, Herbstastern und Chrysanthemen schaute; auf Rasenflächen, die im feuchten Herbstwetter knallgrün aussahen und die Ränder der Bürgersteige säumten; auf die noch voll belaubten Bäume unserer Heimat, die sich in den Kronen vorsichtig gelb färbten, während die aus dem Osten hierher verpflanzten zart erröteten, wenn sie ihre Blätter in die weiche, warme Herbstluft fallen ließen. Mutter, die neben Mary auf dem Vordersitz saß, meinte taktvoll: „Hast du schon mal bemerkt, daß die häßlichsten Blumen immer am kräftigsten sind, genau wie bei den Menschen? Sieh dir die scheußlichen Dahlien da an.“ Sie wies mit ihrer Zigarette auf ein paar giftig purpurrote Dahlien, deren schreiende Farbe sich mit dem Rot eines Backsteinhauses biß.
    Nach einer Weile verließen wir die Stadt und fuhren am Ufer des Sundes entlang. Je weiter wir kamen, desto mutiger wurden die Herbstfarben, und mir ging es ebenso. Die kraftlose, laue Sonne war viel zu schwach, den Nebelschleier von dem seidig grauen Wasser zu lüften, aber sie verlieh wenigstens dem Grün und Gelb der Bäume einen hellen Glanz und ließ mir die Zukunft weniger traurig erscheinen.
    Ein Güterzug polterte und keuchte, in seinen eigenen Rauch gehüllt, die Küste entlang. Gelegentlich schimmerten spätblühende Hartriegel grünlich-weiß in den dunklen Wäldern, wie Zahlen auf einem Leuchtzifferblatt bei Nacht. Madrona-Bäume mit hellroten Beeren wie Blutstropfen beugten sich vor und verdrehten die Stämme, weil sie unter den Tannen hervor gucken

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