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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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Gedächtnis für Einzelheiten trugen dazu bei, daß jeder ihrer Ausflüge in die Chirurgie wie eine Reisebeschreibung klang. „Mit meinem Lama durch die Anden.“
    An stürmischen Vormittagen, wenn der Wind rauh über die Liegehalle fegte, Regen an die Schutzscheiben klatschte, lärmend durch die Bäume fuhr und Regenschauer auf das Dach warf, hatten wir gewisse Schwierigkeiten, mit Freundliche Organe mitzukommen. Eines Morgens verloren wir sie gerade, als sie einen Schuß Morphium bekam, erfuhren nichts von ihrem Ausflug in die Chirurgie, den sechs Kannen Äther, den zugezogenen Spezialisten und den zwei Bluttransfusionen. Wir bekamen den Faden der Erzählung überhaupt erst wieder in die Hand, als sie schon in ihrem Krankenhausbett lag und durch die Adern ernährt wurde. Ihren langen, langweiligen Geschichten und der freundlich-beruhigenden Stimme zu lauschen, war genau so einschläfernd, wie beim Verlesen des Kongreßberichts zuzuhören, war genau so Therapie wie unsere Handarbeit.
    Mutter war natürlich begeistert über meine Aufstehzeit und die Beschäftigungstherapie. Sie brachte mir ein Schiffchen, mehrere große Knäuel weißes Garn und ein dickes Buch mit Anweisungen. Nach diesem Buch konnte man alles und jedes mit Schiffchen arbeiten, und es hatte verlockende Abbildungen von duftigen Kragen und Manschetten, Spitzenborten, Gedeckunterlagen aus Tupfen, die wie Schneeflocken aussahen, Kinderkleidern, Bettdecken und Tischtüchern. Ich las das schöne Produkt durch und arbeitete angestrengt, war aber lange Zeit nicht in der Lage, etwas Vernünftiges herzustellen.
    Ich zeigte Kimi mein Werk. Sie sagte: „Das ist ja fürchterlich, was soll es denn sein?“ – „Schiffchenarbeit,“ antwortete ich. „Ich will einen Kragen machen.“ Betrübt zog sie Meter um Meter einer schmutzigen gehäkelten Kette aus ihrer Bademanteltasche. „Ist das alles, was wir zu erwarten haben, Betty?“ Da ihre Familie sich immer darüber beklagt hatte, daß Kimi nur an geistigen Beschäftigungen interessiert sei und keinen Sinn für Häuslichkeit habe, bestand sie darauf, daß ich sie beim Häkeln zeichnete. „Halten Sie sich nicht mit dem Gesicht auf,“ ermahnte sie mich. „Konzentrieren Sie sich aufs Häkeln.“
    Da ich Kimi niemals bei einer anderen Beschäftigungstherapie gesehen hatte als beim Häkeln der einfachen Kette, war ich mißtrauisch, wenn sie von Zeit zu Zeit erlesene, fertige Stick-, Kreuzstich-, Strick- oder Häkelarbeiten zum Vorschein brachte. Ich fragte sie eines Abends danach, als wir frierend in unseren Stühlen saßen und beobachteten, wie das große rote Kreuz mit Doppelbalken oben auf dem Verwaltungsgebäude aufleuchtete und erlosch und sich dabei unsere Gesichter, unsere eingewickelten Körper und der feuchte Sprühregen, den der Wind durch die Schutzscheiben trieb, bald rot färbten, bald weiß, wie vom Widerschein eines Feuers.
    Kimi sagte: „Alles in diesem Sanatorium erinnert mich an Tuberkulose. Sehen Sie, wie das rote Licht die Regentropfen in kleine Blutstropfen verwandelt, wie bei einem leichten Blutsturz.“ Ich sagte: „Lassen Sie die Ausflüchte, Kimi.“
    „Na, gut,“ gestand sie, „früher hab ich mir von meiner Mutter Material kaufen und mitbringen lassen. Jetzt laß ich mir Material von ihr kaufen und die fertige Arbeit bringen, denn ich hab mich ja schließlich gut angepaßt, sie aber nicht, und darum muß sie doch Beschäftigungstherapie kriegen.“

DREIZEHNTES KAPITEL
    Meine Operation

    Am sechsten Januar lud mich die Oberschwester zum Fichtenhain-Filmabend ein, überreichte mir aber die Einladung so dick in Vorschriften verpackt, als bekäme ich einen einzigen Stint zum Geschenk, eingewickelt in die Sonntagsausgabe der New York Times.
    Sie sagte unter anderem: „Sie stehen auf der Liste für den Film heute abend, Mrs. Bard. Sie dürfen sich schminken, wenn Sie wollen, aber Sie dürfen weder sprechen noch lachen. Um 7 Uhr müssen Sie fertig sein, mit Morgenrock und Pantoffeln, Ihrem Kissen und der Nachtdecke. Ein Mann (sie sprach das „Mann“ mit tiefer, bebender Stimme, als handele es sich um ein fremdes, gefährliches Geschlecht) wird Sie abholen, aber Sie dürfen mit Ihrem Begleiter weder sprechen noch lachen. Sobald Sie wieder im Bett sind, werden Temperatur und Puls geprüft; und wenn sich eines erhöht hat, dürfen Sie nicht zu der nächsten Filmvorstellung.“ Ich dankte ihr, versprach, weder zu reden, noch meinen Puls schneller gehen zu lassen, und sie verschwand.
    Als

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