Einmal scheint die Sonne wieder
aufgenommen.
Sie erzählte, daß im Fichtenhain mehr Männer stürben als Frauen; das läge an der verhängnisvollen Neigung der Ehefrauen, sich von ihren armen, kranken Männern scheiden zu lassen und denen damit den Antrieb für die Genesung zu nehmen. Ich fragte sie, ob sich nicht auch die Männer von ihren kranken Frauen scheiden ließen; aber sie meinte nein, die Männer ließen sich niemals scheiden, wenn ihre Frauen auch noch so lange im Fichtenhain seien. Ich war erstaunt über diese Bestätigung von der „Treue des männlichen Geschlechts“, zumal mich die Erfahrungen mit Männern im Geschäftsleben zu der Überzeugung gebracht hatten, daß viele ihre Frauen schon völlig vergaßen, wenn sie nur sehr kurze Zeit, etwa für die Arbeitsstunden im Büro, von ihnen getrennt waren. Eleanor schloß, daß manche Frauen sich vom Leben nichts anderes zu wünschen schienen, als daß sie sich die Gesichter anmalen und in Nachtklubs gehen könnten. Nur mit einiger Schwierigkeit unterdrückte ich ein: „Na hör mal, Kleine!“
Um 8 Uhr brachte eine Nachtschwester ein Briefchen von Eileen Kelly. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ich es sofort ergriffen und aufgerissen, denn wie es ihr auch ging, Eileens Briefe waren immer amüsant, brachten mich immer zum Lachen. An diesem Abend aber hatte Eleanor mich mit ihren düsteren Prophezeiungen so tief in meine Grabeshöhle hinunter getrieben, daß ich nicht den Mut aufbringen konnte, zu öffnen und zu lesen, was meiner festen Überzeugung nach Eileens Abschiedsbrief war. Ich legte ihn ungeöffnet auf meinen Nachttisch und sah weiter auf den dämmerigen Gang hinaus und dachte an meine Operation.
Kurz bevor das Licht ausgemacht wurde, blieb Katy an unserer Tür stehen und sagte: „Ist das nicht fein mit Eileen?“ Ich fragte: „Was ist mit ihr?“, worauf sie entgegnete: „Haben Sie denn ihren Brief nicht bekommen?“ Ich sagte: „Ja, aber ich hab ihn nicht gelesen.“ Sie wartete, bis ich den Brief aufgemacht und gelesen hatte, daß es Eileen sehr viel besser ginge, daß sie eine halbe Stunde Beschäftigungstherapie bekommen hätte und sehr bald aufzustehen hoffe. Katy sagte: „Sehen Sie nun, was es ausmacht, wenn jemand vernünftig ist?“ und verschwand. Ich sagte zu Eleanor: „Na, da ist schon mal eine, die nicht sterben wird.“ Ohne von ihrem Strickzeug aufzusehen, antwortete sie: „An Ihrer Stelle würd ich nicht darauf setzen.“
Am nächsten Morgen wurde Eleanor, Gott sei Dank, verlegt, aber wie der Geruch von Blumen nach einem Begräbnis lagen ihre Erörterungen über den Tod noch in der Luft, und als die Heilsarmee mich besuchte und eine alte Frau mit borstigen schwarzen Haaren am Kinn und einem traurigen Gesicht mir einen religiösen Traktat überreichte, zitterte ich vor Angst, vergaß, daß die Heilsarmee häufig in den Fichtenhain kam, und dachte, die haarige alte Frau sei als Stellvertreterin des Chefarztes vom Büro geschickt worden, um mich auf den Tod vorzubereiten.
Nach dem Abendbrot wurde meine Furcht noch durch ausgedehnte Vorbereitungen für die Operation und eine starke Dosis Schlafmittel vergrößert. Wenn die Operation wirklich eine so einfache kleine Sache sein würde, wie man mir eingeredet hatte, warum dann die Klistierspritze, warum das Abrasieren vorn und hinten bis zur Taille, warum die Tabletten?
Am nächsten Morgen um 7 Uhr 30 stürzte, wie ein berittener Stierfechter auf einen Bullen, Miß Muelbach mit einer Subkutannadel auf mich los. „Ich bin allergisch gegen Morphium,“ sagte ich sanft, aber sie hatte die Nadel schon drin und drückte auf den Kolben, so daß ich nicht weiter auf die Angelegenheit einging. Statt dessen zog ich die sterilisierten weißen Strümpfe, die weiße Mütze und das weiße Gewand über, die sie mir überreicht hatte, und als sie fort war, beguckte ich mich im Spiegel. Das weiß-in-weiße Bild, das er von mir zurückwarf, erinnerte mich so sehr an einen jungen Kornwurm, der aus einem Sack Mehl herauskriecht, daß ich erwartete, auf der Bettdecke den blauen Firmenstempel eines Mehlproduzenten zu sehen.
Ich beschloß, etwas Wimperntusche aufzulegen. Das verstieß absolut gegen die Vorschriften; aber ich fand, die Situation rechtfertige es. Schließlich wollte ich nicht, daß meine Leiche, falls ich sterben sollte, mit einem Ungeziefergift besprengt und auf einen Komposthaufen geworfen würde. Nachdem ich reichlich Wimperntusche aufgetragen hatte, betrachtete ich mich noch einmal und fand, daß ich
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