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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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sie gegangen war, durchbohrte ich die dicke, bedrückende Verpackung und fand, daß mein kleines Geschenk immer noch da war: ich sollte ins Kino gehen! Ich sollte mein Bett verlassen und einen vollendet schönen Abend verbringen, an dem ich mich in das Leben anderer Menschen verlieren konnte, die nichts mit Tuberkulose zu tun hatten. Ich hoffte entweder auf einen musikalisch extravaganten Farbfilm oder einen Gangsterfilm mit viel Schießerei und kreischenden Reifen; aber es sollte mir auch nichts ausmachen, wenn es nur ein Reisebericht war oder etwas, in dem Rin-Tin-Tin auftrat, es würde immerhin ein Film sein, ich sollte hingehen und würde meinen ersten, festen Schritt in das normale Leben tun.
    Nach dem Abendbrot war ich so aufgeregt, daß mein Herz wie eine Trommel im Dschungel klopfte und meine Hände flatterig und widerspenstig waren wie eine frisch gefangene Seezunge, aber ich schmierte Lippenrot auf, befeuchtete mein Haar mit Trinkwasser und dachte: „Das ist das Leben!“
    Eleanor, die auch zum Film ging, blieb natürlich so unbewegt wie eine Kohlrübe. Sie strickte systematisch und unerschütterlich bis eine Minute vor sieben, legte dann ihre Strickerei vorübergehend aus der Hand, während sie den ersten und einzigen Handgriff für den Abend tat, sich nämlich ihr farbloses Haar hinter ihre großen, durchsichtigen Ohren strich, es fest mit schwarzen Klammern vertäute und eine randlose Brille herausholte und aufsetzte. Als sie damit fertig war, sah sie nicht einmal in ihren Spiegel, sondern fing sofort wieder an zu stricken, und erst als wir hörten, wie die ersten Fahrstuhltüren klappten, Rollstühle knarrten und fremde, tiefe Stimmen von Zetteln, die das Büro verteilt hatte, Namen ablasen, stieg sie langsam aus dem Bett, zog langsam ihren braunen Bademantel und die braunen Lederpantoffel an und wickelte langsam ihr Kissen in ihre Nachtdecke ein.
    Ich hatte schon etwa eine halbe Stunde angezogen auf der Bettkante gekauert, und so wurde sie natürlich zuerst gerufen. Ihr Begleiter, ein großer, hübscher und vergnügter Mann, blieb an der Tür stehen, lächelte uns beiden zu und las Eleanors Namen von einem kleinen Zettel. Ich war froh; daß sie nichts vom Schminken hielt, und stellte erfreut fest, daß sie schüchtern zitterte, als sie in den Rollstuhl kletterte. Als sie fertig war, wandte sie sich um und schenkte dem hübschen Fremden ihr musterhaftestes Lächeln. Das sollte bestimmt anziehend wirken, aber mit ihrem glatten, blassen Kopf, der Brille, den großen, kurzsichtigen Augen, den wächsernen Ohren, dem gelbbraunen Körper, dem Wasserspeierlächeln und der fest umgelegten wollenen Decke wirkte sie so sehr wie eine gefräßige Motte, die gerade ihr Mittagbrot verspeisen will, daß der Mann sichtlich zurückwich und ich beinahe aufgelacht hätte. Als sie davonknarrten, den Gang hinunter, konnte ich mir vorstellen, wie Eleanor in einem der dunklen Tunnels aus dem Rollstuhl hochflog, an den Wänden entlangflatterte und sich schließlich trunken gegen die erleuchteten Fenster des Zuschauerraums stürzte.
    Als ich schließlich an der Tür eines falschen Zimmers mit hoher, unsicherer Stimme meinen Namen verlesen hörte, wußte ich, daß das Glück an diesem Abend Eleanor gelacht hatte. Mein Begleiter hatte nichts mit ihrem gemein. Er war nicht hübsch, er war nicht vergnügt, er war kein Mann. Er war etwa siebzig Jahre alt, etwa ein Meter neunzig groß, fünf Zentimeter dick, grünlichbleich und so scheu, daß ich befürchtete, wenn ich zu ihm spräche, würde das die gleiche katastrophal-auflösende Wirkung haben, als wenn man Salz auf eine Schnecke streut.
    Resigniert ergriff ich meine Nachtdecke und mein Kissen, kletterte in den Rollstuhl, bedeutete ihm, daß ich fertig sei, und los ging es, schweigend und geschwind, in die Fahrstühle hinein und wieder heraus, durch lange, dunkle Tunnels, Rampen hinauf und hinunter, in Gebäude hinein und wieder heraus, aber kein Wort fiel zwischen uns. Die Oberschwester wäre so stolz auf mich gewesen! Als wir den Zuschauerraum erreichten, stieß mein Begleiter die Flügeltüren auf, kippte mich wie einen Kohlensack aus und verlor sich wieder in dem dunklen Tunnel, bevor ich mich umdrehen und ihm ein musterhaftes Lächeln schenken konnte.
    Ich kam mir vor wie ein Paket, das jemand vor der falschen Tür hat stehen lassen, preßte Nachtdecke und Kissen an mich und blickte mich um. Der Raum war hell erleuchtet, ziemlich klein und füllte sich rasch bis auf den

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