Einsam, zweisam, dreisam
Gespräch einschaltet und irgendwas vom letzten Sommer in Glenn O’Dougheldidaigh erzählt, steht Sig auf und geht auf den Balkon hinaus. Dort ist kein Licht, und seine Augen müssen sich erst an das relative Dunkel gewöhnen.
Außerhalb des Lichtkegels, der vom Fenster in die Nacht gezeichnet wird, sitzen zwei Gestalten auf den Brettern. Sie sehen ihn an.
«Stör ich euch?» fragt Sig.
«Nein, nein», sagt eine Stimme. Die Stimme klingt traurig und enttäuscht, als wolle der, dem sie gehört, es passiere etwas, wobei Sig hätte stören können. «Setz dich ruhig zu uns.»
Der Mann ist sympathisch, und Sig ist froh über Gesellschaft. Alleinsein könnte Andrea verletzen, und das ist das letzte, was er möchte.
Es sind zwei Männer. Der eine ist vielleicht fünfzig, trägt einen grauen Cordanzug, Turnschuhe und ein seidenes Tuch unter dem Hemdkragen, und sein silbergrauer Haarkranz fusselt wild uni das lächelnde Gesicht.
Den andern kennt Sig schon. Es ist der Fahrrad-Rowdy, der ihn an der Uni fast umgefahren hätte.
«Nichts für ungut», lächelt der ihn an.
«Ihr kennt euch?» fragt der Ältere. «Ich bin Curd.»
«Nicht direkt», sagt der schwarzgekleidete, «ich hab ihn bloß gerade vorher fast totgefahren. Ich bin Yogi.»
«Ich heiße Sig», sagt Sig.
«Sieg?»
«Nein Sig. S-I-G. Der Originalname, von dem das die Abkürzung ist, fällt ersatzlos weg.»
«Ah, noch so ein Namensgeschädigter wie du», sagt Curd zu Yogi.
Sig hat die beiden sofort gern. Den Älteren wegen seiner feinen Art und den Jungen wegen des netten Tonfalls, in dem er vorhin «Paß doch auf, du Heini» gesagt hat.
«Seid ihr vor irgendwas geflohen?» fragt er.
Yogi antwortet: «Wenn man sich gern einfacher Worte bedient, könnte man es so ausdrücken.»
«Wieso, geht’s denn auch kompliziert?»
«Wenn du Curd fragst, immer. Er sagt nichts mit einfachen Worten.»
«Laß doch», sagt Curd. Er scheint unangenehm berührt.
Aber Yogi fährt fort: «In einfachen Worten könnte Curd sagen: ‹Ich will mit dir ins Bett.› Aber er macht es umständlich. Erst mal will er mir nachweisen, daß ich schwul bin.»
«Ach doch nicht, damit du mit mir ins Bett gehst. Wir könnten uns an jedem Ort, den’s gibt, aneinander erfreuen. Ein Bett brauch ich nicht dazu.»
«Mann», stöhnt Yogi, «jetzt nimmst du schon wieder einen Umweg.»
Sig ist ein bißchen verwirrt. So fröhlich hat er darüber noch nicht reden hören.
«Diskutiert ihr dieses Thema schon lang?»
«Fast zwei Jahre», sagt Curd. «Sei doch unser Schiedsrichter.»
«Ich? Völlig unmöglich! Ich kann nicht mal für mich selber entscheiden. Und vom Schwulsein hab ich erst recht keine Ahnung.»
«Das hat schon mancher von sich geglaubt.» Natürlich Curd.
Yogi lacht: «Gib ihm eine Viertelstunde, und er hat dir bewiesen, daß du schwul bist und es bloß nicht zugeben kannst.»
«Das ist völlig unmöglich.»
Sig denkt an Regina, und ihm wird schwindlig vor Freude, daß er sie morgen sehen wird. Er taucht ab in das Bild ihres Gesichts und läßt die beiden einander weiter necken. Erst als ihn Curd am Ärmel zupft, hört er wieder zu.
«Wohnst du in Freiburg?»
«Nein.»
Aber eigentlich könnte er sofort alles stehen- und liegenlassen und hierher ziehen. Die Kinder wären das einzige, was er an Stuttgart vermissen würde. Vielleicht gäbe es an der Volkshochschule Arbeit für ihn?
«Was machst du?»
«Ich bin Maler.»
«Kannst du davon leben?» Curd stellt diese Frage mit einem ironischen Unterton, als wäre sie ihm selbst schon des öfteren lästig gefallen.
«Davon kann ich nicht leben. Ich lebe dafür.»
Curd ist Andreas Klavierlehrer. Er war früher Konzertpianist, hatte aber vor einigen Jahren genug vom. Rattenrennen um die Publicity. Er meint, das Dasein eines Virtuosen sei in etwa so langweilig wie das eines Leistungssportlers. Trainieren und spielen. Mit Musik habe das nichts zu tun, nicht für den, der spielt. Jetzt, als Lehrer, sei er glücklicher, jedenfalls mit Schülern wie Andrea. Die sei sowieso weniger eine Schülerin, als vielmehr eine Art Komplize. Eigentlich sei er sogar richtig glücklich. Der einzige Wermutstropfen in diesem Glück sei, daß Yogi, die Liebe seines Lebens, nicht sein Gefährte sein wolle. Das sagt er in einem so fröhlichen Ton, daß die Vermutung nahe liegt, ihm gefalle die Werbung besser als das, was er vorgibt erreichen zu wollen.
Auch Yogi erzählt von sich. Er hat sein Theologiestudium abgebrochen, wegen zu großer
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