Einsam, zweisam, dreisam
Halbe Stunde oder so.»
Ogottogott, was bin ich bloß für ein Arschloch. Andrea muß mich hassen. Was hab ich für ein Recht, ihre Freunde anzumachen? Aber er hat mich angemacht. Ach, Kinderkram. Ich muß mich nicht wie der Gralshüter des Vernissagengeplauders aufführen. Basta.
Er schämt sich.
Eigentlich wollte er nur einmal um den Block zur Dreisam. So heißt das kleine Flüßchen, das an der Wagenburg vorbeifließt. Und dann geläutert und zerknirscht wieder in die Party zurückschleichen. Aber er muß, in seine Grübelei versunken, immer weiter geradeaus gegangen sein, denn auf einmal steht er neben den Hörsaalgebäuden der Universität.
Ein scharfer, aber warmer Wind streunt mit Wimmern und Heulen um die Ecken, und es riecht nach irgendwas.
Als er zweimal rechts abgebogen ist, kommt Sig durch einen kleinen Park, der die beiden Hörsaalgebäude voneinander trennt. Etwa fünfzig Meter geradeaus ist der Eingang einer Kneipe.
In diesem Eingang versuchen gerade zwei Männer, einander rauszuschieben. Der eine trägt eine schwarze Lederjacke, Jeans und auf dem Kopf ein Jack-Nicholson- oder Robert-de-Niro-Mützchen, der andere schwarze Cordhosen, eine schwarze Jacke undefinierbaren Materials und einen schwarzen Schal. Der mit der Lederjacke ist der Taxifahrer von vorhin.
Er schreit gerade: «Fuck off, du Arschloch!», denn er hat den anderen aus der Tür gedrängt und in die Flucht geschlagen.
Der hat sich auf ein Fahrrad geschwungen und rast direkt auf Sig zu. Vier Treppenstufen abwärts. Dann hält er an und ruft über die Schulter: «Wenn du den Auspuff ein bißchen verkleinerst, dann kannst du deinen Daimler ficken. Versuch’s mal. Vielleicht ist es das, was du brauchst!»
Er tritt in die Pedale und rempelt Sig fast an. Er reißt den Lenker gerade noch herum, schafft den kleinen Bogen und murmelt: «Paß doch auf, du Heini.»
Aber es klingt nicht böse, sondern fast ein bißchen neckisch.
Auf dem vorderen Schutzblech des Rades prangt ein draufgeschweißter Mercedesstern.
Weil ihn ein bißchen fröstelt, geht Sig in die Kneipe. Am. Tresen ist noch Platz. Neben dem Taxifahrer bestellt er sich einen Kaffee.
«Das ist gut», sagt der übernächste in der Reihe und lehnt sich über den Tresen, um ihm zuzulächeln. Sig, der so ein bißchen provisorisch zurücklächelt, fragt: «Wieso?»
«Wieso?» strahlt der Mann, und seine halbe Glatze strahlt mit: «Es geht ein Graben durch die Welt. Auf der einen Seite die Kaffeetrinker, auf der anderen die Teetrinker. Ich bin Kaffeetrinker.»
«Ach», Sig nimmt sich vor, gleich zu bezahlen, damit er den Rücken frei hat, falls nötig, «und du freust dich über Komplizen?»
«Komplizen? Kaffeetrinken ist doch kein Verbrechen. Aber wer weiß, wann das Endspiel kommt. Je mehr wir sind, desto siegen wir vielleicht.»
«Hab ich richtig verstanden, du meinst das Endspiel Kaffee gegen Tee?»
«Genau.»
Oweia, denkt Sig.
«Kaffee», ruft der Wirt.
«Gut so», sagt der Typ.
Ein kicheriges Mädchen mischt sich ein, und der Kaffeetrinker erklärt ihr ausführlich, wie die Lebensadern seines absurden Weltbildes verlaufen. Sig hört mit halbem Ohr zu.
Von Hundefreunden und Katzenfreunden ist da die Rede, von Weintrinkern und Biertrinkern, Mercedes- und BMW -Fahrern, Haschischrauchern, Alkoholikern – es ist der nackte Irrsinn. Gerade als der Mann sagt «… Nimm zum Beispiel mal einen Tee trinkenden Hundeführer beim Rauschgiftdezernat, was glaubst du, was der für ein Auto fährt …», bemerkt Sig, daß ihn der Taxifahrer grimmig mustert. Er schüttelt einen aufgeweichten Bierdeckel zwischen Daumen und Zeigefinger, als wäre es Kojaks Polizeimarke, und raunzt: «Kenn ich dich nicht?»
«Du hast mich gefahren.»
«Ach so.» Das Gesicht hellt sich auf.
Die vage Atmosphäre schleichenden Wahnsinns hier fängt an, Sig zu erheitern, und er traut sich eine kleine Frechheit: «War das eben Hippiesuppe?»
«Fast», grinst der Taxifahrer, «paar Zutaten fehlen noch.»
Sig verzieht sich an einen frei werdenden Tisch.
Als er versucht, den verschütteten Kaffee mit einem Tempotaschentuch aus der Untertasse zu tupfen, beschleicht ihn der Verdacht, diese Platzwahl sei ein Schritt vom Regen unter die Traufe gewesen.
Vom Nebentisch starren ihn vier Augenpaare an, als habe er Antennen auf dem Kopf. Erst als, nach einigen ungemütlichen Sekunden, einer der vier, offenbar volltrunken, mit dem Gesicht in einen Aschenbecher knallt, wenden sich die Blicke von ihm ab, und die
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