Einsam, zweisam, dreisam
Sig.
Vier Schüsseln mit Nudelsalat stehen auf dem ausgezogenen und mit einem Bettuch bedeckten Eßtisch. Oje, Nudelsalat, denkt Sig, der sich immer ärgert, wenn Ereignisse eintreffen, die er als zu offensichtlich empfindet. Nudelsalat bei einer Party ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Er fühlt sich auf eine schwer erklärbare Weise persönlich beleidigt von Dingen, die so sicher wie das Amen in der Kirche sind. Er will nicht einsehen, daß das Leben auch in den kleineren Dingen so geheimnislos vonstatten geht. Wie Handschellen fühlt sich das an. Als müsse er um sich schlagen. Der Bademeister ist muskulös, der Bluessänger hat eine kratzige Stimme, der zahlungsunfähige Gast kann nicht auf die Diskretion des Kellners rechnen, der Professor ist zerstreut, und der Zuhälter fährt ein weißes Auto. Amen.
Und auf Parties gibt es Nudelsalat.
Er küßt Andrea auf die Schläfe und versucht, sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen. Vielleicht ist es ja auch nur schlechte Laune, weil er Regina vermißt.
So was idiotisches. Er kommt sich selber vor wie ein Rocker, der zu Fuß gehen muß und deshalb nach der ersten Gelegenheit lechzt, eine möglichst erkleckliche Anzahl von Spießern aus der Stiefelette zu hauen.
Fair bleiben, flüstert er sich selber zu und schaut vorsichtig in die Runde der schon erschienenen Gäste. Er sucht nach einem Opfer. Er hat die innere Nietenjacke an. Fair bleiben.
In großen Schlucken trinkt er von dem Chablis, den ihm Andrea hinhält. Wenn er nach Äußerlichkeiten geht, dann sind genügend Opfer da. Es gibt ein kragenloses gestreiftes Hemd, zwei Emanzipationspullover, einen Cordanzug mit Ponyfrisur nach dem Otto-Schily-Modell, eine Nickelbrille mit Rauschebart und ein hübsches Sommerkleid mit Obst und Gemüse.
Fair bleiben, denkt Sig und schaut an sich selbst hinunter. Ich bin ja nicht besser. Ich trage bloß alles auf einmal.
Diese sechs sind leider alles, was da ist, deshalb kann er nicht einfach in der Menge verschwinden. Andrea stellt ihn vor als «den Maler des Bildes hier» und deutet dabei auf sein Hochzeitsgeschenk. Alle starren das Bild an. «Mmmmmmhh», sagt einer der beiden Emanzipationspullover. Der mit den hennaroten Haaren. Er heißt Irene und wird von den anderen Renny genannt.
«Doch», sagt das Sommerkleid und «Schönes Bild» der zweite Pullover. Das Sommerkleid heißt Gaby und der Pullover Heike.
Andrea hat ihm die Namen eben gesagt, aber er kommt nicht mehr dazu, sie sich einzuprägen, denn Johann, das gestreifte Hemd, den man Hannes nennen muß, weil er sich auf zwei Irlandreisen intime Kenntnisse der dortigen Trink-, Eß- und Sangessitten erworben hat, spricht ihn an: «Jemand hat mal gesagt, gegenstandslose Kunst sei reaktionär.»
«Was?» Sig ist nicht ganz klar, was er damit anfangen soll. «Reaktionär, wieso?»
«Na ja, sie entzieht sich doch der Deutung und damit der Vermittlung von Inhalten.»
Den Satz sagt Hannes so stolz und so betont, daß man in seiner Stimme die ganze Aufklebersammlung, die er vermutlich an der Heckklappe seines VW -Campingbusses pappen hat, mitlesen kann: Baum-ab-nein-danke, Energie-nucleaire-non-merci, Beendet-das-Wettrüsten und Rettet-die-Tierwelt. Mindestens.
Als Sig auch noch in den Gesichtern der anderen eine interessierte Begeisterung entdeckt, die darauf schließen läßt, daß sie das für einen echt starken Anfang halten, befällt ihn so was wie Panik. In seinem Kopf schrillt ein Alarm, und eine Fistelstimme sagt: Mach Andreas Fest nicht kaputt.
«Du könntest mir ja mal, wenn du echt nichts Besseres vorhast, den vorstellen, der das gesagt hat. Vielleicht ist er noch zu retten», sagt Sig.
«Und wenn ich das selber gewesen wäre?» Das Streifenhörnchen versucht einen auf schnippisch zu machen.
«Dann lohnt sich die aufwendige Rettungsaktion vielleicht nicht mehr», schnippt Sig zurück.
Er erschrickt vor seiner eigenen Bösartigkeit und versucht, die selbstgeschlagenen Wogen wieder zu glätten: «Entschuldige, ich kann nichts außer malen und bin persönlich verletzt, wenn sich jemand so wenig Gedanken darüber macht. Ich mag einfach nicht darüber plaudern. Verstehst du? Es ist mir zu wichtig.»
Hannes versteht. Er sieht aus, als würde er immer verstehen. Ein professioneller Versteher.
Eine grausige Stille hat sich breitgemacht im Raum. Sig muß raus. Er hat die Stimmung innerhalb von drei Minuten gründlich verdorben. Man kann die Entrüstung förmlich riechen.
«Ich muß noch mal weg.
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