Einsam, zweisam, dreisam
festhalten, sich guttun, wenn es die andern schon nicht schaffen; sich streicheln, weil es keiner so versteht, keiner die Haut so gut kennt und die Fingerspitzen. Nicht nur, daß er sich selbst in dieser autistischen Bewegung erkennt, er würde gern den Gegenbeweis antreten. Den Gegenbeweis, den man auch ihm bisher noch schuldig geblieben ist. Er würde sie gern streicheln und wenn es nur an den Oberarmen wäre. Ob sie denkt, warum nimmt, er mich nicht in den Arm?
Er kann nicht.
Ihre Zunge kastriert ihn, wenn er auch nur den kleinsten Fehler macht. Lieber nichts tun, als das Falsche.
Manchmal, wenn er schlaflos im Bett liegt und sich mit autogenem Training zu beruhigen versucht, blitzt der Gedanke durch seinen Kopf: Was ist, wenn ich mein schweres Bein nicht mehr bewegen kann? Dann wird er hellwach und traut sich nicht, es zu versuchen. Er schiebt den schrecklichen Augenblick der Wahrheit hinaus, bis er sicher ist, daß es tatsächlich nicht geht. Dann ruckt er verzweifelt, und es geht doch. Und ist noch schlafloser als vorher.
Genauso ist es jetzt. Sie haben so lang geschwiegen, daß er schon fast sicher ist, sie wird nichts mehr sagen, keine Verbindung mehr aufnehmen, wird irgendwann aufstehen und sagen: Machs gut. Und je länger er zögert, desto weiter rutscht sie weg. Reden, irgendwas, sonst ist alles kaputt.
«Was meinst du, ist die nächste Platte, die aufgelegt wird: Branduardi, Bots oder Chris de Burgh?»
«Der Ton, in dem du das sagst, klingt, als hättest du was gegen die Leute da drin.»
Hab ich auch.»
«Und was?»
«Sie sind zu vielen andern zum Verwechseln ähnlich.»
«Ah, ein Misanthrop.»
«Ich geb mir Mühe, einer zu werden.»
«Und wozu?»
«Der klassische Zweck: Um nicht immer wieder reinzufallen.» Regina seufzt und macht eine wegwerfende Handbewegung: «Ich seh zwar nie Western-Filme, aber ich nehm an, Perlen dieser Art kullern aus der Bildröhre.»
«Foul», stöhnt Sig.
«Grad rechtzeitig.» Sie lächelt wieder. «Ich will nicht, daß du Amok läufst.»
Obwohl sie ihn schon wieder abgebügelt hat, daß er eigentlich vor lauter Kleinheit durch die Ritzen des Balkonbodens rieseln müßte, ist Sig nicht böse. Ihre Zurechtweisungen fangen an, etwas Beschützendes für ihn zu haben.
«Regina, die Königin, die Herrscherin, hat immer recht.»
«Was willst du damit sagen?»
«Daß bei dir Nomen wohl ziemlich Omen sein muß. Bist du deiner immer so sicher?»
Sie sieht ihm erstaunt in die Augen: «Ich bin mir nicht sicher. Ich bin schwach.»
Sie nimmt das Streicheln ihrer Oberarme wieder auf. Er hätte Lust, sie zu fragen, ob sie sich selber gern hat, aber er läßt es sein, denn jetzt will er die Stille nicht stören. Sie ist wie akustisches Vertrauen.
Er wünscht sich, sie zeichnen zu können. Erst gestern hat er geschworen, keine Menschen mehr zu zeichnen, und jetzt hat er eine unbändige Sehnsucht danach, dieses Gesicht, diese verloren tanzenden Hände, die immer mal wieder erfolglos eine Haarsträhne nach hinten streichen, festzuhalten. Was wäre das für eine Eroberung.
Ein Rausch wäre das.
Aber nicht nur den Rausch wünscht er sich. Er denkt schon an die Erinnerung. Er hätte sie bei sich, wohin immer sie in der Folge davonflöge. Er hätte sie. Sie wäre durch seine Hände gegangen. Durch seine Hände.
Einen Menschen zu zeichnen ist wie eine Berührung. Eine besondere Berührung. Er kann verstehen, daß Karin oft vorwurfsvoll schweigend durch die Wohnung ging, wenn er Frauen porträtierte. Sie mußte gefühlt haben, daß da eine Verbindung entstand, die mit den normalen Verabredungen nicht zu erfassen war.
Allein schon, sich in die Augen zu sehen, ohne daß das Modell die Jalousie herunterläßt, die vor der Penetration durch Männerblicke schützt … Es wäre eine Sensation. Er nimmt sich vor, sie zu malen. Als letzten Tribut an seine gegenständliche Arbeit. Frontal, direkt.
Er haßt die Belauscherperspektive, die sich in Halbprofil, Profil und niedergeschlagenen Augen ergeht. Er wird Regina malen, wie er alle Menschen bis jetzt gemalt hat. Stolz, von vorn, daß sie dem Betrachter in die Augen schaut.
Da fällt ihm ein, daß genau das, genau diese rigorose Frontalität seiner Personen ein Grund für die häufige Ablehnung seiner Porträts sein könnte. Manchmal hatten Leute Zeichnungen bei ihm bestellt und dann, obwohl sie gut und ähnlich waren, nicht abgenommen. Ist ja klar. Wer will denn von einem Bild angesehen werden? Der Porträtierte soll hilflos und
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