Einsam, zweisam, dreisam
lächelt.
«Ja», krächzt er.
Alle schauen her. Er würde sich am liebsten in den Teppichboden eingraben. Angestarrt zu werden, ist einer der Zustände, die er am wenigsten ertragen kann. Wenn ihn eine Person ansieht, wird er verlegen, aber wenn viele Augen auf ihn gerichtet sind, befällt ihn Atemnot. Er hat dann das Gefühl, in lauter Einzelteile zu zerfallen.
Völlig unabhängige Hände führen mit roboterhaften Bewegungen und steifen Fingern das Weinglas an einen Mund, der gar nicht in diese Gegend gehört. Der Mund gehört etwa eine Milchstraße weiter nach links. Er ist nur provisorisch festgemacht in einem Gesicht, das eigentlich zwei Galaxien weiter rechts sein müßte. Kein Wunder, daß der Wein ihm die Sinne verspiralnebelt.
Zum Glück zieht Curd Regina in ein Gespräch, und Andrea, die seine Not bemerkt hat, bittet Sig, ihr beim Weinholen zu helfen.
«Du bist heute mein Ersatzmann», sagt sie.
Im Keller fragt er, ob sie ihm den Streit mit Hannes verzeihen könne.
«Ach, der», sagt sie wegwerfend und fühlt sich sichtlich wohl in ihrer Haut.
«Kennst du diese Regina schon lang?»
«Gestern im Zug getroffen.»
«Na sowas. Sie scheint nett zu sein.»
Regina sitzt noch in derselben Stellung beim Regal, aber ohne Curd. Sig setzt sich und sie sieht ihn ebenso unverwandt und forschend an. Als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
Schon wieder drohen ihm die Einzelteile aus dem Gesicht zu fallen, aber er zwingt sich, den Blick nicht zu senken.
Nach einer Weile sagt er: «Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeguckt.»
Ihr Lachen hat einen verzeihenden Ton: «Ich bin nicht Polen.»
«Verzeihung», sagt er, «ein Fehlgriff in die schlecht beleuchtete Metaphernschublade.»
«Du bist schüchtern, stimmt’s?»
«Stimmt.»
«Aber frech bist du auch.»
«Stimmt auch.»
«Und das letzte Wort hast du auch gern.»
Sig schielt statt einer Antwort.
«Wie darf ich denn das jetzt verstehen?»
Er grinst: «Wenn ich’s dir erkläre, dann ist es das letzte Wort.»
«Vielleicht», sagt sie und grinst noch etwas breiter als er.
Sig zuckt die Schultern: «Ich glaube, gegen dich hab ich keine
Chance auf ein letztes Wort.»
Jetzt schielt sie.
Sie gehen auf den Balkon. Sein Weinglas läßt er absichtlich stehen. Er will nicht betrunken werden. Zwar könnte er noch etwas Mut gebrauchen, aber klare Sicht ist ihm lieber. Er möchte von dem, was kommt, nichts versäumen.
Sie setzen sich an dieselbe Stelle, an der vorher Curd und Yogi saßen. Zwischen den breiten Bohlen des Balkonbodens ist gerade so viel Abstand, daß Sig seine Zigarettenkippe durchfallen lassen kann. Wenn sie Glück hat, schafft sie es durch die nächsten drei Balkone bis zur Erde.
Außer ihnen ist niemand hier. Sie schweigen eine Weile. Schließlich räuspert sich Sig. Er hat einen Kloß im Hals, der einfach nicht verschwinden will.
«Jetzt muß du irgendwie die Sache vorantreiben», sagt sie lächelnd, aber nicht in seine Richtung. Sie schaut einfach nur so in die Runde.
«Welche Sache denn?»
«Meine Eroberung.»
«Wie weit bin ich denn schon?»
«Etwa so weit, daß du den Boden küssen dürftest, auf dem ich sitze.»
«Dazu müßtest du ein Stückchen zur Seite rücken.»
«Den Teufel werd ich tun.»
Er ist so froh, sie dauernd zum Lachen bringen zu können, daß er sich nicht mal mehr besondere Mühe gibt. Er versucht nur einfach, das Gespräch nicht abbrechen zu lassen. Er hat feuchte Handflächen. Die versucht er unauffällig an den Jeans abzuwischen und sieht aus den Augenwinkeln an ihrem Lächeln, daß es nicht unauffällig genug war. Er bietet ihr an, den Boden, auf dem sie sitzt, durch sie hindurch zu küssen. Seine Stimme schafft es kaum an dem Kloß vorbei.
«Schlaumeier», sagt sie.
Aber vorher schien sie den Gedanken zu prüfen, denn sie sah in ihren Schoß, dann auf Sig und dann wieder in ihren Schoß, wobei sie die Beine ein wenig spreizte.
Schweigen.
Sie lassen die Augen gerade so weit schweifen, daß ihre Blicke sich nicht kreuzen. Jeder klappert seinen Teil der Wagenburg ab. Die Stille ist nicht lastend, aber die wenigen Geräusche, das Dudeln der Musik von drinnen, Gesprächsfetzen und Lacher, das ferne Vorbeifahren eines Autos und gelegentliche Klappern eines Fensters machen einen strengen, unwiderleglichen Eindruck, als sollten sie etwas beweisen.
Sie sitzt da und streichelt ihre Oberarme. Wie gern hätte er ihr das abgenommen. Nicht nur, daß er dieses Gefühl selbst so gut kennt: sich
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