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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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zur Besinnung.
    «Laß uns weg hier.
    «Ja.»
    Mit Schlafwandlerbewegungen zieht sie sich an. Als auch er soweit ist, faßt sie ihn am Arm und drückt die Klinke herunter.
    «Es ist nicht peinlich. So was ist nicht peinlich», sagt sie beschwörend. Als müsse sie ihn überzeugen. Als brauche sie Gnade vor seinen Augen. Er küßt sie neben den Mund.
    «Ist es nicht», sagt er und schubst sie leicht.
    Auf dem Gang ist niemand. Die beiden Frauen an der Kasse sehen ihnen hinterher. Es scheint nicht oft vorzukommen, daß jemand aus dem Film geht.
    «Ich kann kaum stehen», sagt Regina.
    Sie hat die Augen wie schuldbewußt gesenkt und scheint völlig ihre Selbstsicherheit verloren zu haben.
    «Ich muß allein sein», sagt sie zu ihren Füßen oder zum Straßenbelag.
    «Ich fahr dich heim.»
    Sig hat das Gefühl, er müsse sie trösten. Als habe ihr jemand was angetan. Automatisch nimmt er den Platz ein, den sie durch ihre unerwartete Unsicherheit freimacht. Aber auch er ist unsicher.
    Das eben war so jenseits aller Phantasien, daß er nicht vorbereitet war. Er weiß nicht, was er jetzt denken soll. Er weiß nicht mal, was er fühlen soll oder wie das, was er fühlt, mit Namen zu nennen sei. Es ist zu verboten, zu sehr von der Umgebung abgewertet, als daß er es als reines Glück empfinden könnte. Eher als Erschütterung. Es ist eine Sensation, deren Wucht ihn schockiert, weil die Lust, die er empfand, so sehr viel stärker war als alle Lust, die er kannte.
    Auch er fühlt sich wie zerschmettert.
    Er ist froh, daß sie ihre Arme fest um seinen Bauch schlingt. Wenigstens läßt sie ihn jetzt nicht allein. Das hätte er nicht ertragen.
    Außer Kommandos, die den Weg betreffen, sagt sie kein Wort. Die schmalen Rennradreifen sind platt unter ihrer beider Gewicht. Sie sirren auf dem Asphalt. Es ist still.
    Und kalt.
    «Halt», sagt sie irgendwann und steigt vom Rad.
    «Hier wohnst du?»
    «Ja.»
    Sie stehen vor einem vierstöckigen Jahrhundertwende-Haus. Regina wirkt unschlüssig, aber gefaßter als vorhin. Sie schaut ihn an.
    «Hältst du’s jetzt alleine aus?»
    Daß sie an ihn denkt, läßt einen warmen, guten Strom durch seinen Bauch gehen, und obwohl er sie keine Sekunde mehr missen will, fällt es ihm leicht, ja zu sagen.
    «Bleib mir treu heut nacht», sagt er noch.
    «Länger. Viel länger», sagt sie.
    Sie erklärt ihm den Weg. Er kann das Fahrrad haben. Sie wickelt ihm noch ihren Schal um den Hals. Er soll sie morgen abend um fünf Uhr hier abholen. Sie winkt noch in der zufallenden Tür, und Sig steht allein da.
    Er fährt am Dreisamufer ohne Licht stadteinwärts. Im hellen Licht des abnehmenden Mondes fühlt er sich als Teil der Schatten ringsumher. Manchmal glitzert ein fahriger Lichtfleck an der Felge des Rades. Er ist durcheinander wie niemals zuvor. Wie auseinandergenommen. Aber glücklich.
    An Sonnis Tür lauschend, versichert sich Regina, daß der Koteletten-Kerl nicht da ist. Alles ruhig. Die ganze Wohnung scheint leer zu sein. Sie läßt sich ein Bad ein und streckt sich seufzend in die Wärme. Sie schließt die Augen.
    Genau wie Sig hat sie sich zwischen zwei gleichzeitigen Gefühlen zu entscheiden. So was wie entsetzte Überraschung und so was wie ein See von Glück.
    Sie ist ausgerutscht. Es ist ihr aus der Hand geraten. Sie wollte doch immer die Kontrolle behalten. Aber schon bei der Idee, in dieses Klo zu gehen, konnte von Kontrolle keine Rede mehr sein. Dort drin dann erst recht nicht. Fast ein Wunder, daß sie wenigstens nicht geschrien hat. Es war alles egal. Nichts, auch keine Polizei oder erboste Kinobesucher, war wichtiger als ihre unbändige Lust.
    Das ist neu. Unkontrolliert kennt sie sich bisher noch nicht. Liegt es an Sig? Vielleicht nicht an dem, was er tut, aber doch an seiner Person. Es war ja sie. Er ging nur mit. Er tat nur, was sie wollte. Sie war es, die die Initiative behielt, aber die Kontrolle aufgab. Ausgerechnet auf einem Klo. Es kommt ihr selber unglaublich vor.
    Dabei war es schön. Unglaublich schön. Es war nicht schmutzig. Kein bißchen! Trotzdem stehen jetzt Gespenster herum, die sagen, so was tut man nicht, so was riecht schlecht, da sind doch diese Körperausscheidungen, das ist doch erniedrigend…
    Und Sig hat die Gespenster gesehen. Seine Tränen sind der Beweis. Auch ihm muß etwas passiert sein, mit dem er nicht gerechnet hat. Ich liebe ihn für diese Tränen, denkt sie, Gespenster haben hier nichts zu suchen. Aber die Geräusche nebenan? Der Gedanke macht sie

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