Einsam, zweisam, dreisam
und ein ebenso bleiches Stück Leben ragt aus ihm hervor.
Als wolle sie ihm keine Zeit lassen, sich noch anders zu besinnen, beugt sich Regina sofort über ihn, verschwindet ganz in der Stuhlreihe und nimmt ihn in den Mund.
Sig ist gelähmt. Er spürt, wie ihre Zunge ihn umkreist, spürt einen Tropfen auf seine Leiste fallen, sieht neben sich ihre weiße Haut, den dunklen Graben, der zwischen ihren Pobacken verschwindet, und er spürt ihre Hand, die sich um ihn schließt und langsam auf und ab bewegt. Er starrt auf die Leinwand, starrt auf die Köpfe und weiß, daß er im Gegenlicht nicht sehen würde, wenn sich einer der Köpfe zu ihnen herdrehte. Er starrt noch angestrengter.
Da fällt Licht in den Raum! Die Eingangstür. Der Taschenlampenlichtkegel der Platzanweiserin zeigt auf die hinteren Reihen. Na klar, hier ist noch viel Platz. Zwar ist der Gang auf der anderen Seite, aber was ist, wenn sich der neue Besucher in ihre Reihe setzt? Es ist doch normal, daß man erst mal nach rechts und nach links schaut, wenn man sich in eine Stuhlreihe setzt. Um Himmels willen!
Er beugt sich zu Reginas Haaren und zischt: «Es kommt einer. Schnell!»
Sie reagiert wie der Blitz. Mit einer weichen, aber unglaublich schnellen Bewegung setzt sie sich hin, deckt ihre Jacke über den Schoß und stopft die Ecken an den Seiten unter ihre Schenkel. Es ist nichts zu sehen. Sig hat sich weh getan beim allzu schnellen Zuziehen des Reißverschlusses. Er mußte noch mal ansetzen, ihm klopft das Herz bis zum Hals.
Der neue Besucher ist eine Frau. Sie setzt sich in die Reihe vor ihnen. Fünf Sitze entfernt. Sie sitzen still und starren die Frau an. Regina kichert. Sig hat noch immer Angst zu atmen.
Nach einer Weile legt Regina die Jacke wieder neben sich, erhebt sich vorsichtig vom Sitz und vollzieht die Prozedur von eben rückwärts. Zuerst zieht sie den Slip, es ist nicht mehr der mit den Sternchen, und dann die Hosen hoch. Erst als sie den Knopf am Bund geschlossen hat, setzt sie sich wieder. In ihrem Flüstern ist ein ausatmender, erleichterter Ton, als sie, ganz nah an seinem Ohr, fragt: «Und was tun wir jetzt?»
Ihr Kichern hat ihn angesteckt. Er muß sich beherrschen, nicht vor lauter Erleichterung laut loszulachen.
«Ich bin halbtot vor Schreck.»
Jetzt lacht sie. Leise, aber deutlich.
«Erst ganz tot wärst du aus dem Schneider. Ich kann nicht mehr zurück. Wir müssen es tun.»
«Aber wo?»
Insgeheim hofft er, ihr fiele nichts ein. Die Angst eben hat ihm den Rest gegeben.
Wenn nun das Licht angegangen wäre? Er stellt sich vor, wie alle Kinobesucher sie angestarrt hätten, während sie schamrot ihre Kleider ordnen. Entsetzlich. Er wäre tot umgefallen.
«Ich hab ’ne Idee», flüstert sie an seinem Ohr.
«Wo?»
«Auf dem Klo.»
«Mein Gott, bist du wahnsinnig?»
Er muß sich bemühen, nicht aus Versehen zu schreien, so fährt ihm der Schreck in die Glieder. «Das ist doch noch gefährlicher.»
«Nein», flüstert sie, «ist es nicht. Wer jetzt aufs Klo müßte, wär vor zehn Minuten gegangen. Vermutlich geht den ganzen Film über niemand.»
Ihm wird schwarz vor Augen.
«Ohne mich. Das ist unmöglich.»
«Bitte», flüstert sie eindringlich, «ich halt’s nicht aus.»
«Es ist schmuddelig», versucht er einzuwenden, aber sie sagt: «Nur der Ort, nicht, was wir tun. Es ist Liebe. Wir machen Liebe.»
Liebe sagt sie so betont, als schreie sie. Dabei spricht sie so leise, daß man ihre Worte schon einen Sitz weiter nicht mehr hören würde. Sig läßt sich besiegen.
«Aber wenn ich an einem Herzschlag sterbe, stiftest du mir eine Kerze.»
«Hundert», sagt sie, nimmt ihre Jacke und steht auf. «Tausend, zweitausend, eine Million. Mein ganzes Leben wird nur noch aus Kerzenbeschaffen bestehen.»
Der Gang ist lang und leer. Eine Platzanweiserin ist nirgends zu sehen. Sicher sitzt sie an der Kasse. Beide Klotüren sind direkt am Anfang des Ganges. Es ist halb neun.
«Damen oder Herren?» fragt Sig und schaut angespannt in Richtung Kasse.
«Damen», sagt Regina, «wenn was ist, dann sagen wir, mir sei schlecht geworden.»
Sie legt die Hand auf die Türklinke und drückt sie herunter. «Warte, ich seh erst nach, ob die Luft rein ist.»
Das ist sie sicher nicht, denkt Sig, aber gleich hat sie innen zwei Türen aufgeschubst und winkt ihn herein. Nach einem schnellen Blick links und rechts tritt er ein und schließt die Tür hinter sich.
«Reine Luft, was?» Er rümpft die Nase.
«Darauf kommt’s nicht an»,
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