Einsame Herzen
Emma und Louise, in Atem gehalten durch ihren neuen, ungewohnten Lebensstil, sich nach und nach von Roger lösen können. Danielle machte sich keine Illusionen: Bestimmt dachten die Mädchen auch jetzt oft an ihren Vater, sprachen einfach weniger über ihn. Doch sie glaubte, dass die beiden inzwischen mit der Trennung zurechtkamen. Sie hatte sich ja auch nicht von einem Tag auf den anderen von Roger scheiden lassen. Schon ein Jahr vor der Scheidung hatte sie die Kinder darüber informiert, dass sie und Roger bald getrennte Haushalte führen würden. Emma und Louise hatten also ein Jahr Zeit gehabt, sich an die Vorstellung der neuen Lebenssituation zu gewöhnen. Dass die Kinder zu ihr ziehen würden, war nie zur Debatte gestanden, weder für Danielle noch für Roger. Danielle war zwar in keiner Weise mit Emma verwandt, hatte sie auch nicht adoptiert, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sie sich als Emmas Mutter fühlte. Sie fühlte sich nicht nur als Emmas Mutter, sie war es auch. Emmas leibliche Mutter hatte ihre Tochter kurz nach der Geburt in Rogers Obhut gelassen. Sie war noch sehr jung gewesen und an der Mutterrolle nicht interessiert. Wie Roger ihr erzählt hatte, war Emma einer belanglosen Affäre entsprungen, einer Affäre, wie sie wohl auch während ihrer Ehe zahlreich vorgekommen waren.
Danielle formte einen Schneeball, zielte, warf und traf Louise, die empört ausrief. Danielle lachte. Ihre Töchter hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die lebhafte, aktive Louise und die ruhige, zurückhaltende Emma. Sie liebte sie beide mit einer solchen Kraft, dass ihr Herz sich vor Sorge um die beiden oft schmerzlich zusammenzog. Es war die natürlich Furcht, die mit Mutterliebe einherging, eine Angst, die sich nie vertreiben liess, mit der man leben lernen musste. Im Gegensatz zur Angst um ihre Töchter hatte Danielle die Furcht vor dem Feuerberg inzwischen verloren. Ohne die Zwillinge erschien ihr der Ort perfekt, genauso, wie sie sich ihn ersehnt hatte. Mit Ausnahme des zugeschneiten Felsenpfades natürlich, doch jetzt, wo Darko ihnen die Lebensmittel bedingungslos überlassen hatte, war auch das kein Problem mehr. Ohne Darko kriegten sie zwar kein frisches Fleisch mehr zu essen, aber Danielle hatte entschieden, dass das keine grosse Rolle spielte. Wenn sie mit den Vorräten sparsam umgingen, würden sie es auch ohne Wild durch den Winter schaffen.
Mit Darkos Auszug aus ihrem Haus hatte Danielle auch jeglichen Gedanken an den Tod der Zwillinge verdrängt. Sie hatte sich dazu entschieden, in die Zukunft zu blicken und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Jetzt wo für sie und die Kinder keine Gefahr mehr drohte, wollte sie das Leben in der Wildnis endlich geniessen und es so unbeschwert führen, wie sie es sich erträumt hatte. Das war ihr während der vergangen Tage, die auf Darkos Auszug folgten, auch ganz gut gelungen.
Morgens hatte sich Danielle wieder voll und ganz dem Unterricht mit den Kindern gewidmet. Nachmittags spielten sie entweder draussen mit Emma und Louise oder sie las ihnen im Wohnzimmer bei knisterndem Feuer eine Geschichte vor. Gegen Abend machten sie sich nicht selten alle drei dazu auf, um zusammen etwas zu kochen. Nach dem Abendessen folgten entweder Gesellschaftsspiele oder aber Danielle zeichnete und die Kinder widmeten sich der Vorbereitung ihrer Weihnachtsgeschenke. Danielle wusste genau, was die beiden für ein Geschenk für sie geplant hatten, auch wenn sie ihr Bestes gegeben hatten, es vor ihr geheim zu halten. Doch die schillernden kleinen Perlen, die sie immer wieder in den Schlafzimmern der Mädchen entdeckte, sagten ihr, dass Emma und Louise sich mit dem Schmuckkasten beschäftigten, den Danielles Eltern ihnen geschenkt hatten. Danielle nahm an, sie würde entweder Ohrringe, eine Halskette oder ein Armband erhalten. Sie lächelte bei dem Gedanken daran.
Ihr Lächeln erlosch jedoch, als ein Schneeball sie hart an der Schulter traf. Empört schrie sie auf. Emma kicherte triumphierend.
So hätte es immer sein sollen, dachte Danielle, als sie frischen Schnee schnappte und ihn zu einem Schneeball zusammenpresste. Sie fühlte sich glücklich und gelöst. Die Vergangenheit hatte sie vergessen und begraben.
Nein, das war eine Lüge. Jeden Abend, wenn sie im Bett lag, wanderten ihre Gedanken um Tage zurück. Jeden Abend wanderten ihre Gedanken zu Darko.
Das war noch nicht ehrlich genug. Darko stahl sich immer wieder in ihre Gedanken, auch tagsüber. Egal was sie tat, egal,
Weitere Kostenlose Bücher