Einsame Herzen
glaubte. Dann würde sich ihr Herz schmerzlich zusammenziehen und ihr zu verstehen geben, dass etwas fehlte.
Etwas fehlte.
Das Jahr neigte sich dem Ende zu, Weihnachten stand vor der Tür. Danielle sah dem Heiligabend mit gemischten Gefühlen entgegen. Bis anhin hatte sie Weihnacht stets im Kreis der Familie verbracht, Rogers und ihrer Familie. Während der vergangen vier Jahre waren ihre Eltern an Weihnachten stets nach China geflogen, um das Fest mit Danielle zu feiern. Nicht selten hatten Roger und sie auch noch Freunde und Bekannte eingeladen. Der 24. Dezember war stets ein Tag voller Leben und Lachen gewesen, ein Tag, an dem man Freude und Besinnlichkeit geteilt hatte. Die Weihnachtsfeier dieses Jahres würde vergleichsweise sehr einsam ausfallen. Es würde eine zurückhaltende, stille Feier geben.
Am Morgen des 24. Dezembers standen Danielle und die Kinder früh auf, um Kekse zu backen. Ihre Vorräte erlaubten es ihnen, Mailänderli und Brunsli zu backen, wobei sie letztere leicht vereinfachen und auf die Mandeln verzichten mussten. Während die Kinder lachend Weihnachtsplätzchen ausstachen, war Danielle nur halbherzig bei der Sache. Sie stach abwesend Schokoladensterne aus. Nachdem sie zwanzig Sterne ausgestochen hatte, fragte sie: "Louise, reichst du mir mal eine andere Form?"
Danielle streckte die Hand aus. Louise nahm eine der Formen von der Anrichte und gab sie Danielle. Danielle hielt unwillkürlich den Atem an, als ein Herz auf ihrer Handfläche lag.
Sei nicht albern, schalt sie sich stumm. Hastig machte sie sich daran, weitere Plätzchen auszustechen.
Der Duft nach Weihnachtsplätzchen strömte durchs ganze Haus, würde jeden Besucher in seiner süssen, sanften Umarmung empfangen. Nur, dass sie dieses Jahr an Heiligabend keinen Besuch empfangen würden.
"Louise?"
"Was?"
"Würdest du zu Darko rübergehen und ihn fragen, ob er heute Abend mit uns essen möchte?"
Die Worte hatten sich selbständig geformt und hatten sich verwegen über ihre Lippen gestohlen, ehe Danielle sie hatte zurückhalten können. Sofort schoss ihr Hitze ins Gesicht, ihr Herz klopfte schnell und ihr Bauch krampfte sich nervös zusammen.
"Jetzt?"
"Was?"
"Soll ich jetzt gleich rübergehen?"
Nun hatte es keinen Sinn mehr, ihre Worte zurückzunehmen. Hätte sie ihre Meinung plötzlich geändert, hätten die Mädchen den Grund dafür wissen wollen.
"Äh, ja, Liebling. Geh doch schnell rüber."
Louise wischte sich ihre schokoladenverschmierten Hände an der Hose ab. Danielle wollte sie dafür tadeln, doch ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet und fühlte sich seltsam pelzig an. So konnte sie Louise nur mit dem Blick folgen, als diese aufgeregt aus der Küche stürmte.
Wie würde er reagieren? Was würde er Louise sagen? Es war über zwei Wochen her, seit sie das letzte Mal mit Darko gesprochen hatte. Damals war ihr Wortwechsel nicht gerade freundschaftlich gewesen. Sie hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie seine Hilfe nicht länger benötigte und hatte ihn klar und deutlich ihres Hauses verwiesen. Bevor er ausgezogen war, hatte er sie noch zu einem Liebesspiel verführt, zu einer heissen, ungestümen Vereinigung, der man nicht den Charakter einer Versöhnung zusprechen konnte.
Danielle war Darko seit mehr als vierzehn Tagen nicht mehr über den Weg gelaufen. Ab und zu hatte sie ihn von ihrem Haus aus beobachtet, wenn er draussen Schnee geschaufelt hatte, in den Wald aufgebrochen oder von der Jagd zurückgekommen war. Sie hatte jedoch keine Ahnung, wie er sich fühlte, was er über sie dachte. Er hatte wütend und verletzt reagiert, als sie ihn weggewiesen hatte. Es gab keinen Grund, weshalb sich seine Gefühle ihr gegenüber in der Zwischenzeit verändert haben sollten.
Bestimmt würde er nicht kommen. Bestimmt würde er ihre Einladung mit einem kühlen Dank ablehnen.
Danielle wurde so nervös, dass ihr die Herzform aus den Händen fiel. Zitternd hob sie sie vom Boden auf. Weshalb beschäftigte sie es so sehr, wie Darkos Entscheidung ausfallen würde? Weshalb konnte es ihr nicht gleichgültig sein, ob er ihre Einladung annahm oder ablehnte?
Sie brauchte Heiligabend ja ohnehin nicht alleine zu verbringen. Sie hatte Emma und Louise, die mit ihr feierten. Sie war nun wirklich nicht auf Darkos Gesellschaft angewiesen. Sie hatte Darko anlässlich des besonderen Tages aus Pflicht der Nächstenliebe zu sich eingeladen, damit er den Heiligabend nicht allein verbringen musste. Weiter nichts. Wie er auf ihre Einladung
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