Einsame Herzen
meisten Leute. Er war ein Mann, der sich um andere kümmerte, jenen half, die schwächer und verletzlicher waren als er selbst, angetrieben von einem beinahe übermächtigen Beschützerinstinkt. Er war der beste Vertreter des männlichen Geschlechts, auf den sie in der rauen Wildnis hatte stossen können.
"Wie lange warst du bei der Polizei?", erkundigte sich Danielle.
"Hm", murmelte er, noch immer zurückhaltend. Wieder brauchte er Zeit, ehe er antwortete.
"Lange. Sehr lange. Seit meinem zwanzigsten Geburtstag. Ich habe rasch Karriere gemacht, bin zum führenden Ermittler aufgestiegen."
Er sagte es sachlich und nüchtern, präsentierte die Tatsachen ohne jeden Stolz.
Danielle schwieg eine Weile. Je länger sie darüber nachdachte, desto plausibler erschienen ihr Darkos Worte. Er hatte bestimmt einen guten Ermittler abgegeben, er war wie geschaffen für seinen Beruf. Offensichtlich hatte er auch schnell Karriere gemacht. Aber wieso hatte er diese aufgegeben?
"Ich versteh nicht... Warum bist du nicht mehr bei der Polizei? Warum bist du hierher gezogen?"
Diesmal schüttelte er entschieden den Kopf. "Darüber möchte ich nicht sprechen."
Danielle fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. "Ist etwas... passiert? Etwas Schlimmes?"
Darko zuckte die Schultern. "Ja und Nein. Nicht in dem Sinne, wie du es dir vorstellst. Ich bin nicht angeschossen worden, wurde nicht von Gestalten der Unterwelt entführt, habe auch niemandem erschossen, sei es mit oder ohne Absicht. Während all meiner Dienstjahre habe ich meine Waffe nur selten gezückt, entgegen der Realität, die einem in Spielfilmen präsentiert wird. Ich musste nur selten Gebrauch von meiner Waffe machen und bin bis heute froh darüber, dass ich nie ein Menschenleben eingefordert habe. Nicht, bis in diesem Winter jedenfalls, wo ich am wenigsten damit gerechnet habe."
Die Atmosphäre veränderte sich. Die Nähe, die sich zwischen ihnen gebildet hatte, löste sich auf und an ihre Stelle trat vorsichtige, angespannte Distanz. Danielle rutschte von Darko weg, drängte sich in die Ecke der Couch, zog ihre Knie an die Brust und umschlang fest ihre Beine. Sie war es, die das Schweigen als Erste brach.
"Ich weiss, dass du mir dafür die Schuld gibst, Darko. Für die Zwillinge." Sie holte tief Luft. "Wahrscheinlich hast du Recht. Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du niemandem... Schaden zufügen müssen."
Darko wandte langsam den Kopf zu ihr. Seine Augen gruben sich in ihre, die ihn gross und entschuldigend ansahen. Schliesslich schüttelte er den Kopf. "Nein", sagte er rau. "Ich war im Unrecht. Was ich damals gesagt habe, von wegen Schlamassel, den du dir eingebrockt hast... Ich weiss nicht, wie ich so etwas sagen konnte."
"Du warst wütend. Du warst durcheinander, konntest nicht verstehen, was du getan hast. Wahrscheinlich konntest du nicht begreifen, was du gemacht hast, bist du den Abzug... Es tut mir so leid, Darko."
"Nein, Danielle." Wieder schüttelte er den Kopf. "Ich wusste genau was ich tat, sowohl als ich damals in den Wald aufbrach, als auch später, als ich mich auf den Weg zum Haus der Zwillinge machte. Es war etwas... das ich tun musste. Ich musste es tun, um dich um die Kinder zu schützen. Unter anderen Umständen hätte ich anders gehandelt, aber hier draussen hat man keine grosse Wahl. Unter den gegebenen Umständen war es die richtige Entscheidung. Natürlich trifft dich keine Schuld. Ich weiss nicht, wie ich dir das je an den Kopf werfen konnte. Kein Wunder, hast du mich aus dem Haus geworfen."
Ihre Augen hielten sich fest, in einem weichen, sanften Blick. Stumm baten sie sich gegenseitig um Verzeihung, wortlos akzeptierten sie die Entschuldigung des Andern.
Als das Feuer sich mit einem vorwitzigen Knacken zu Wort meldete, zuckten sie beide zusammen. Sie lächelten über ihre Schreckhaftigkeit, wandten sich dem Feuer zu, beobachteten die Flammen, die wild und warm im Kamin tanzten.
"Darko?", flüsterte Danielle zögernd. Er wandte den Kopf zu ihr.
"Könntest du vielleicht... diese Nacht... ich meine, würdest du hier übernachten?"
Diese Frage zu stellen hatte sie ihren ganzen Mut gekostet. Während sie seine Antwort abwartete, gruben sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen. Obwohl sie die letzten Minuten in Harmonie verbracht hatten, fürchtete Danielle, dass sich Darko über sie lustig machen könnte, sie gar verhöhnen würde dafür, dass sie ihn jetzt wieder zu sich bat, wo sie seine Gegenwart noch vor kurzem so entschieden abgelehnt hatte.
Darko
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