Einsame Spur (German Edition)
im Aufstehen seinen Stuhl zurück und stützte die Hände auf dem Tisch ab. »Gebt die Informationen an euer Rudel weiter, auch an die Leoparden und die Falken. Falls es in den Rudeln Gefährten gibt, die Menschen sind und das Risiko eingehen möchten, ist der Menschenbund bereit, auf Treu und Glauben eine Reihe von ihnen in das Programm aufzunehmen.«
Sienna saß neben Indigo am Rande der Weißen Zone und bewachte eine Gruppe Zweijähriger im Sandkasten, deren Betreuer gerade eine Kaffeepause machten. »Du solltest dir verschiedene Gefährten suchen und ihnen wie ein Schatten folgen«, sagte die Offizierin.
»Andere Soldaten, meinst du?«, fragte Sienna, die annahm, dass es sich um eine Übung handelte.
Doch Indigo schüttelte den Kopf, ihr langer Pferdeschwanz schlug im Rücken gegen das eng anliegende weiße Hemd im Westernstil, das sie in die Hüftjeans gesteckt hatte. »Such dir ein Individuum aus jeder Untergruppe – Mütter, Heiler, Techniker, Mechaniker usw. Soldaten kennst du ja schon. Und das ist kein Befehl«, fügte die Offizierin hinzu, »sondern ein Vorschlag.«
Sienna nahm sich Zeit zum Nachdenken, denn offensichtlich meinte Indigo mehr, als sie gesagt hatte. »Wie Hawke«, sagte sie schließlich mehr zu sich selbst als zu Indigo. »Er kennt auch das kleinste Detail aus dem Rudelleben.«
»Ja.« Einen Arm locker um das angezogene Bein geschlungen und den Rücken an eine junge Kiefer gelehnt, rief Indigo ermutigende Worte zu ein paar Kleinen hinüber, die mit ihren Sandtürmchen kämpften. »Warte, ich werde mal helfen, bevor sie einander begraben.«
Mit Sand an den Knien und dem Lachen der Wölfin in den Augen kehrte Indigo wieder zurück und setzte sich an dieselbe Stelle. »Erklär mir, warum«, sagte sie, als wäre ihr Gespräch nie unterbrochen worden.
»Damit ich besser auf ihn eingehen kann.« Damit er Ideen mit ihr besprechen konnte, mit denen er die Offiziere noch nicht behelligen wollte. »Damit ich die Feinheiten der Situationen verstehe, mit denen er tagtäglich zu tun hat.«
»Kluges Mädchen.« Die Offizierin klopfte sich den Sand von den Knien und sah sie dann an. »Aber das ist nicht der einzige Grund.«
»Es geht auch um mich«, sagte Sienna nachdenklich, da ihr langsam klarwurde, worauf Indigo hinauswollte. »Damit ich schneller und gewandter von einer Rekrutin zu … einer Art Offizierin werde.« Nicht genau wie die anderen, da ihr Hauptaugenmerk nicht auf dem Rudel, sondern auf Hawke lag. Wölfe respektierten Stärke, die sie ja auch besaß. Doch sie brauchte mehr Erfahrung und noch wichtiger die Akzeptanz des Rudels, wenn sie eine andere Stellung in der Hierarchie einnehmen wollte. »Je mehr Leuten ich ›wie ein Schatten‹ folge, desto mehr Verbindungen baue ich auf.«
Indigo stieß sie mit der Schulter an und nickte. »Wölfe lieben Anerkennung. Hawke macht das instinktiv – du musst es bewusster tun, was aber dein Engagement keinesfalls schmälert, zu verstehen, was das Rudel umtreibt.«
Indigo sprach als Beschützerin des Rudels. Die dominanten Gefährten waren stärker und unzweifelhaft gefährlicher, stellten sich aber in den Dienst der Schwächeren – denn ohne die sanfteren Gefährten gäbe es ja niemanden, den sie beschützen müssten, keinen Sinn im Leben … kein warmes Zuhause aus Zuneigung. Sienna hatte Jahre gebraucht, um diese Feinheiten im Wolfsrudel zu verstehen. »Ich glaube, es wäre gut, mit einer Mutter anzufangen. Was meinst du?« Mütter besaßen ebenso viel Macht wie die Offiziere, nur in einem anderen Bereich.
Indigos Blick war so stolz und zufrieden, dass Sienna sich fühlte, als habe sie ein überreiches Lob bekommen. »Genau. Wenn du Lara fragst, wird sie sicher etwas mit Ava arrangieren.«
Die Anspannung, die Sienna bis zu diesem Moment empfunden hatte, wich augenblicklich von ihr, und ihre Schultern lockerten sich. Sie hatte Ava schon öfter getroffen. Avas Sohn Ben war Marlees Freund, obwohl die beiden seit Kurzem nicht mehr so eng zusammen waren – und keiner von beiden sagen wollte, warum. »Das werde ich.« Sie atmete die kühle, klare Luft in großen Zügen ein und beobachtete, wie ein Wolfsjunges seinem Freund beim Bau einer Sandburg half, indem es den Sand mit den kleinen Pfoten festklopfte. »Das ist, als würde ich die Grundfesten für mein restliches Leben legen.«
»Hast du was dagegen?«
»Ich bin so glücklich, dass ich vor Freude zerspringen könnte.« Manchmal machte ihr die tiefe Freude auch Angst. Nie hatte sie
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