Einsame Spur (German Edition)
verwischen.
Der schwarze Wolf war verschwunden.
Sie ließ sich davon nicht täuschen, er verfolgte sie sicher. Sie tappte am anderen Ufer entlang, sah hinüber … und entdeckte kurz einen goldenen Schimmer. Er sprang über den Fluss, doch sie lief schon auf und davon, drückte sich durch enge Felsspalten, durch die er ihr nicht folgen konnte, und duckte sich unter umgestürzten Baumstämmen hindurch, die ebenfalls zu niedrig für ihn waren.
Als sie wieder stehen blieb, raste ihr Herz, die Wölfin war ebenso erregt wie die Frau. Die Luft war ein reicher Schatz von Düften, die Nacht sang. Es war betäubend für alle Sinne. Doch sie musste einen klaren Kopf behalten und verwandelte sich zurück. Ihr Haar umgab sie wie ein Schleier, als sie sich hinkauerte und den Kopf witternd zur Seite neigte.
Dunkler Waldduft, gesättigt von Rauch und Zitrusfrüchten.
Er umgab sie. Lag auf ihrer Haut. Auf ihrer Zunge.
Seine Lippen strichen über ihren Nacken, seine Hand lag sanft auf ihrer Hüfte, doch sie wusste, dass sie gefangen war. Sie wandte sich um und sah ihn mit den Augen der Wölfin an. Das Haar fiel ihm in die Stirn, die Augen leuchteten. Diesmal würde er sie nicht fortgehen lassen, sagte dieser Blick. Doch sie war nicht umsonst eine Wölfin und würde so schnell nicht aufgeben. Überraschend warf sie sich nach links.
Er war schon dort, bevor sie sich bewegt hatte, und warf sie zu Boden. Sie erschauerte, als der Abendtau ihre Haut überzog, doch er ließ sie nicht aufstehen. »Ich hab dich.« Eine Stimme wie Kieselsteine, tief und dunkel wie das Raubtier in ihm. »Und ich werde dich auch behalten.«
Sie legte die Hand an seine Wange, war erfüllt von unendlicher Zärtlichkeit. Wie hatte sie nur glauben könne, dass sie ihm einen Teil ihres Herzens vorenthalten könnte? Das war unmöglich. Sie war vollkommen in seiner Hand. Tränen brannten ihr in den Augen, liefen ihr über beide Wangen.
»Schsch.« Er küsste die salzigen Spuren der Traurigkeit weg, rollte sich mit ihr auf den Rücken, hielt sie mit beiden Armen fest an sich gedrückt. »Weine doch nicht, Liebling.«
Sanft schlang sich ein weiteres Band um ihr Herz, nie mehr würde sie sich befreien können. Zum ersten Mal hatte ihre Wölfin gewählt. Diesen einsamen Wolf. »Du hast mich wirklich«, flüsterte sie. Mit Haut und Haaren.
55
Kaleb saß zu Hause in seinem Büro, als Silver anrief. »A. V. ist Vasquez«, sagte sie. »Darin ist sich meine Familie so sicher, wie es ohne DNA -Probe möglich ist. Anscheinend organisiert er alle Aktionen der Makellosen Medialen. Der Akte und dem Rang nach zu urteilen, agiert er als Henrys Sprachrohr.«
Das vermutete Kaleb auch. Netkopf und Dunkler Kopf hatten viel zu ruhig auf die Nachricht von Henrys »Tod« reagiert. Kaleb hatte versucht, den früheren Ratsherrn mithilfe der beiden Wesenheiten aufzuspüren, aber in letzter Zeit war auf die beiden nicht so richtig Verlass gewesen, und es war ihm nicht gelungen, ihre Konzentration auf das Ziel zu lenken. Schon allein das deutete auf ein schweres Problem im Medialnet hin. Wie ernst es wirklich war, konnte vielleicht nur er selbst richtig erfassen – Henrys Fanatismus und die kontinuierliche Auflösung von Objekt 8–91 waren nur Symptome einer viel gefährlicheren Malaise.
Kaleb beendete das Gespräch mit seiner Mitarbeiterin, stand auf und spielte mit dem kleinen Platinstern in seiner Hand. Warm spürte er das Metall in seinen Fingern, als er eiskalt entschied, was mit Henry geschehen musste. Aden.
Kristallklar meldete sich die Stimme des Telepathen. Ratsherr.
Kaleb reicht. Der Rat ist nur noch in den Köpfen der Bevölkerung existent.
Kaleb.
Henry wird ein Problem bleiben, solange er lebt. Spricht etwas dagegen, ihn zu eliminieren? Kaleb musste wissen, wie loyal der Pfeilgardist zu ihm stand.
Nein. Was er tut, ist nicht gut für das Medialnet.
Kaleb rieb die glänzende Oberfläche des Sterns mit dem Daumen. Dann ist die Aktion offiziell freigegeben.
Ist notiert.
Kaleb unterbrach die telepathische Verbindung und überlegte, wer nach Henrys Abgang noch übrig sein würde. Mit Shoshanna brauchte er sich nicht groß zu beschäftigen, Henrys »Frau« hatte so viele Fehler, dass er sich ihrer leicht bedienen konnte. Nikita würde Kaleb so lange in Ruhe lassen, wie er nicht in ihr Territorium eindrang – oder ihrer Tochter oder Enkelin etwas antat. Die Ratsherrin hatte es gut verborgen, aber Kaleb konnte durch das Medialnet reisen, ohne Staub aufzuwirbeln. Er
Weitere Kostenlose Bücher