Einsame Spur (German Edition)
halben Arm verloren. Das kalte Feuer musste die Gliedmaßen zu Asche verbrannt haben, bevor man den ehemaligen Ratsherrn teleportieren konnte. Durch das Krankenhemd war ein Teil des Bauchs zu sehen, verschmortes, schwarzes Plastik war mit der dunklen Haut verschmolzen. Henrys Gesicht war relativ unversehrt – nur Wange und Lippen waren verbrannt. Wenn Henrys Schilde nicht stark genug gewesen wären, hätte vielleicht sogar sein verändertes Aussehen einem Teleporter, der nicht nur an Orte, sondern auch zu Menschen reisen konnte, ein Auffinden unmöglich gemacht
Der Anblick würde Sienna Lauren zusetzen.
Vasic musste plötzlich an das Mädchen denken, dem er nur einmal begegnet war – als er sich mit achtzehn bei Ming gemeldet hatte, weil er in die Garde aufgenommen worden war. Sie war damals noch ein Kind gewesen und hatte einen Ausdruck in den Augen, den er nur zu gut kannte. Seine Reaktion auf sie war ein erstes Zeichen, dass er nicht wie Patton war und auch nie so sein würde. Diese Erkenntnis war ein Geschenk, das ihn bislang am Leben erhalten hatte.
Er sah auf den Monitor mit der Linie, die Henrys Herzschlag anzeigte, und dann auf den Mann darunter … der ihn mit offenen Augen anblickte.
»Nein«, sagte Henry heiser, die Stimmbänder waren offenbar auch versengt worden.
»Jede Chance, am Leben zu bleiben, war in dem Augenblick verwirkt, als Sie versucht haben, das Medialnet zu zerstören«, sagte Vasic. Die Gardisten würden niemandem einen Eingriff ins Medialnet gestatten.
Er griff mit einem Teil seines Bewusstseins zu, der zwar weniger elegant als die Teleportation funktionierte, für sein Vorhaben aber reichte. Er brach Henry das Genick und zog gleichzeitig sämtliche Kabel der Überwachungsgeräte heraus. Nur minimale telekinetische Kräfte waren dafür notwendig, doch die Wirkung war umfassend. Henry war so still, wie er das Medialnet hatte haben wollen, und Vasic hielt Wache, bis der Körper des ehemaligen Ratsherrn so kalt war, dass man ihn nicht wiederbeleben konnte.
Dann teleportierte Vasic zum Kap, auf dem Aden auf einer Bank saß, die jemand vor so langer Zeit dorthin gestellt hatte, dass sie ein Teil der Landschaft geworden war. »Es ist vollbracht.« Vasic schob die Kapuze zurück und stellte sich an den Rand der Klippe, der feuerrote Himmel kündigte einen strahlenden Sonnenaufgang an. »Um die Makellosen Medialen vollkommen auszuschalten, müssen wir Vasquez finden und töten.«
»Vasquez ist schlauer als Henry.«
»Wir werden ihn aufspüren.« Pfeilgardisten fanden stets, wonach sie suchten.
»Ich werde dich nicht sterben lassen«, sagte Aden leise.
Vasic antwortete nicht darauf, doch auch so war beiden klar, dass Aden ihn nicht aufhalten konnte. Wenn die Schuld beglichen und das Medialnet gerettet war, wollte Vasic nur noch Frieden. Ewigen Frieden.
69
Gefühlsmäßig angeschlagen von einer Nacht voller Zärtlichkeit, der am Morgen ein wildes, besitzergreifendes Liebesspiel des einsamen Wolfs gefolgt war – dem sie nicht hatte widerstehen können, obwohl sie wusste, dass es falsch war –, öffnete Adria ein paar Stunden später auf ein Klopfen hin ihre Tür und stand vor einem Mann, mit dem sie zuallerletzt gerechnet hatte: Martin.
Viel zu überrascht, um etwas sagen zu können, starrte sie den dunkelblonden Mann an, der einst ihr Geliebter gewesen war. Sie wusste nicht, was sie sich vorgestellt hatte, wenn sie sich je wiedersehen würden, aber sicher nicht dieses leicht gedämpfte Gefühl von Verlust begleitet von Bildern aus der Vergangenheit, als sei er Teil eines anderen Lebens gewesen.
»Was willst du denn hier?«, fragte sie schließlich und suchte vergeblich nach den Dingen, die sie einmal an ihm angezogen hatten. Trotz aller Schmerzen, die er ihr bereitet hatte, war er im Grunde doch kein schlechter Mann – nur fehlte ihm die Stärke, die sie in ihm als Mann gebraucht hätte.
»Ich wollte mit dir reden«, sagte er zögernd, die haselnussbraunen Augen blickten unsicher. »Ich kann es dir nicht verübeln, wenn du dich weigerst, aber ich bitte dich sehr, es nicht zu tun.«
Sie trat hinaus in den Flur und schloss die Tür hinter sich, das Handy in der Hand, dessentwegen sie noch einmal zurückgekehrt war. »Lass uns nach draußen gehen.« Ganz egal, in welchem Stadium sich ihre Beziehung zu dem schwarzen Wolf befand, der sich weigerte, sich von ihr freigeben zu lassen, sie konnte und wollte Martins Geruch nicht in ihrer Wohnung haben. Das wäre ihr wie Verrat
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