Einsame Spur (German Edition)
vorgekommen.
Martin schwieg, bis sie in einem Teil des Waldes waren, der über dem See in der Nähe der Höhle lag; die Wasseroberfläche war glatt wie geschliffenes Glas. Gefährten gingen am Ufer entlang, spielten als Wölfe im flachen Wasser oder saßen auf dem Steinstrand, doch niemand war in ihrer Nähe und konnte das Gespräch mithören.
Adria lehnte sich an eine junge Zeder und ließ den Blick über Martin gleiten. Er war … irgendwie anders, die Veränderung war nur leicht, aber dennoch spürbar, als wäre er zerbrochen und neu zusammengesetzt worden. Sein Gesicht hatte einen gereiften Ausdruck, der noch nicht da gewesen war, als sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Und in seinen Augen tobten die Gefühle. »Ich wollte endlich sagen, was ich schon vor einem Jahr hätte sagen sollen.«
Noch immer im Ungewissen, wohin seine Worte führen würden, wartete Adria einfach ab.
»Es tut mir leid, Adria.« Und er tat nicht nur so, auch die steife Überheblichkeit war verschwunden, die immer sein Schutz gewesen war. »Es tut mir leid, dass ich mich so mies verhalten habe und nicht den Mut hatte, mir klarzumachen, was ich uns beiden damit antat.«
Nie im Leben hätte sie solche Worte von ihm erwartet, doch sie wusste, was sie antworten würde. »Ich danke dir, dass du mir das gesagt hast.« Es hatte viel zu bedeuten, dass er sie aufgesucht hatte, um sich zu entschuldigen, was ihm sicher nicht leichtgefallen war. »Aber es war nicht allein deine Schuld – ich habe auch meinen Teil dazu beigetragen.«
»Nicht«, flüsterte er. »Vergib mir nicht eine Schuld, die ich auf mich geladen habe.«
»Das tue ich nicht«, sagte sie, denn sie wusste, welchen Mut es erforderte, sich die eigenen Fehler einzugestehen, und sie würde Martins Mut nicht schmälern.
»Aber«, sagte sie und sah ihm weiter in die Augen, damit er erkannte, wie ernst es ihr war, »es ist jetzt vorbei, du musst diese Schuld nicht mehr wie einen Mühlstein um deinen Hals tragen.« Auch wenn ihr Leben im Augenblick recht turbulent war, hatte sie doch das Kapitel mit Martin schon lange abgeschlossen. Es war Teil ihrer Vergangenheit, hatte sie geformt, aber fesselte sie nicht mehr. »Ich hoffe sehr, dass du glücklich wirst.« Von ganzem Herzen wünschte sie ihm das, denn er hatte sie einst zum Lachen gebracht.
Martin trat einen Schritt näher und strich ihr zögernd über die Wange. »Ich wusste nicht, was ich an dir hatte, bevor ich dich verlor.« Eine unausgesprochene Frage mit einem Blick, der gleichermaßen Verlust und Schuld ausdrückte.
»Wir haben eine gemeinsame Geschichte«, sagte sie mit einer Sanftmut, die nicht der Soldatin zuzuschreiben war, sondern dem Teil in ihr, der wusste, dass Mitgefühl keine Schwäche war. »Und die liegt in der Vergangenheit.«
Seine Augen verrieten Bedauern, das jedoch in ihr keinen Widerhall fand. Riaz hatte schon vor langer Zeit gesehen, dass sie Martin nie so geliebt hatte, wie eine Raubtiergestaltwandlerin ihren Mann lieben sollte – nämlich mit wildem Heulen im Herzen, schmerzhafter Sehnsucht und brennender Zärtlichkeit. Doch Martin und sie waren nicht immer Gegner gewesen, deshalb wies sie seine Umarmung zum Abschied nicht zurück.
»Auf Wiedersehen«, flüsterte Adria, als er zwischen den Bäumen verschwand. Sie hatte die letzten Gespenster begraben, auch wenn Martin noch immer mit den seinen zu kämpfen hatte. Frieden mit der Vergangenheit zu schließen gab ihr Ruhe, doch die Ruhe wurde durch eine Seelenqual überschattet. Es war, als wäre ein Stück aus ihr herausgerissen worden und ließe sie mit einer offenen Wunde zurück.
Denn dieses Mal liebte sie wirklich.
Doch trotz des stillen Versprechens, ihn nie um etwas zu bitten, was er ihr nicht geben konnte, konnte sie nicht mit Riaz zusammen sein, wenn sie nicht die Einzige für ihn war. Allerdings … wie er sie geliebt hatte, wie er sie mit seinen Küssen in Besitz genommen hatte, seine rauen, wunderbaren Worte – das alles weckte in ihr den Wunsch, doch zu glauben, dass sie sein Herz besaß und nicht Lisette.
Der Aufruhr in ihren Gefühlen brachte die Wölfin dazu, knurrend die Krallen auszufahren, denn sie wusste nicht mehr, welche Entscheidung für sie die richtige war.
Als Riaz am späten Nachmittag aus der Stadt in die Höhle zurückkehrte, wollte er eigentlich dort fortfahren, wo er mit Adria aufgehört hatte – doch sie hatte um einen Wechsel ihrer Schichten gebeten und sich für eine dreitägige Wache hoch oben in den
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