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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Marianne und ihn eine Weile. Zupfte ein paar Mal an den Fingern der Patientin, dann ließ sie die beiden in Ruhe.

47
    S ie verließen das Schwarze Meer am 16. August und traten die Rückreise an.
    Quer durch Bulgarien. Alle Schilder waren mit kyrillischen Buchstaben beschriftet, es war schwer, sich zu orientieren.
    Und die Straßen waren nicht besser als in Rumänien. Meistens gelang es ihnen nicht, mehr als dreihundert, dreihundertfünfzig Kilometer am Tag zurückzulegen, und das Datum ihres Transitvisums wurde überschritten, als sie noch in Sofia waren.
    Rickard hatte nach Timisoara aufgehört, Tagebuch zu schreiben, während Anna es in einer Art verbissenem Ernst weiterführte. Sie fotografierte und machte sich Notizen. Natürlich musste sie an diese Artikelserie denken, das Schreiben war für sie kein Selbstzweck. Sie sprachen äußerst wenig miteinander, und sie liebten sich nie.
    Sie hatten das Gefühl, dass sie nicht miteinander schlafen konnten, solange Maria unter ihnen war. Während sie ganz hinten im Bus lag, verstummt und versteinert. Zum ersten Mal seit Beginn seiner Pubertät erlebte Rickard, dass er absolut keine Lust verspürte. Das Sexuelle war zu etwas Verbotenem geworden, einem Tabu, er nahm an, dass es den anderen genauso ging.
    Germunds Wunde war von einem Touristenarzt in Mamaia versorgt worden. Er hatte gefragt, wie sie entstanden war, sie hatten ihm jedoch keine weiteren Einzelheiten gesagt. Vielleicht hatte der Arzt es doch verstanden, und vielleicht wollte er gar nicht mehr wissen. Auf jeden Fall würde sie verheilen, es handelte sich nur um eine Wunde in den Weichteilen. Germund hatte Glück gehabt, riesiges Glück. Zwei der Kugeln hatten ihr Ziel verfehlt, die dritte hatte ihn gestreift.
    Mit Marias Wunde verhielt es sich anders. Das war ein Heilungsprozess, der fern aller Prognosen lag. Seit den Ereignissen in Timisoara hatte sie nicht gesprochen, und es schien, als wollte sie nichts von den anderen wissen. Nicht einmal von Germund.
    Gunilla schrieb einen Brief an sie. Saß ganz vorn im Bus und schrieb eine Seite nach der anderen in ihrem Collegeblock voll. Legte sie anschließend in einen Umschlag und überreichte diesen Maria.
    Er wurde entgegengenommen, aber Rickard sah nie, dass sie ihn las. Zumindest bekam Gunilla nie einen Brief zurück.
    Es war Gunilla, für die sich Maria geopfert hatte. Rickard versuchte sich vorzustellen, welches Gefühl das für sie sein musste. Sie sollte von vier Männern vergewaltigt werden, kam aber davon, nachdem Maria ihren Platz eingenommen
hatte.
    Aus welchem Grund auch immer. Es war unbegreiflich, aber das gesamte Geschehen in Timisoara war unbegreiflich. Es waren zwei Stunden ihres Lebens, zwei Stunden des Lebens von jedem Einzelnen von ihnen, und sie hatten das Gefühl, als hätte sich alles verändert. Nicht nur für Maria, sondern für alle. Sie hatten eine Schleuse passiert, eine Membran des Bösen, und auf der anderen Seite sah die Welt anders aus. Sie würde nie wieder die Alte sein.
    Aber am schlimmsten war es natürlich für Maria. Anders auf eine Art, die sich keiner vorstellen konnte.
    Sie hatten darüber diskutiert, zur Polizei zu gehen. Nein, nicht diskutiert. Einer hatte es zur Sprache gebracht, vielleicht Tomas, aber Maria hatte den Kopf geschüttelt. Rickard erinnerte sich genau daran, nachdem sie den Bus gestartet und durch das Gittertor hinausgefahren waren, hatte sie den Kopf geschüttelt und einige der anderen auch. Keine Polizei. Waren die Männer nicht Polizisten gewesen?
    Maria hatte ihnen einen Zettel gegeben, das war später in der ersten Nacht. Haltet nirgends an.
    Sie hatten nirgends angehalten. Nicht länger, als es nötig war, um zu tanken oder Proviant einzukaufen. Es war ein Wunder, dass der Bus durchhielt.
    Aber nach zwei Tagen hatten sie Mamaia erreicht, und dort gab es endlich ein Meer.
    Nach anderthalb Tagen in Sofia fuhren sie weiter Richtung Westen mit Ziel Skopje in Jugoslawien. Auf den sich dahinschlängelnden, unglaublich schlechten Bergstraßen fing es mit den kaputten Reifen an. Jeden Tag mussten sie Reifen wechseln, umringt von lachenden Kindern aus den umliegenden Bergdörfern. Sie bettelten um Kaugummi, aber der Vorrat war schon lange erschöpft. Wenn sie am Nachmittag in einem neuen kleinen Ort ankamen, war ihre erste Aktion, eine Autowerkstatt aufzusuchen, damit dort über Nacht der Reservereifen geflickt werden konnte. Das lief jeden Tag so. Vulk war das einzige Wort, das sie benutzen mussten. In dieser

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