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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Stacheldrahtzaun liegt.
    Aber das ist mir egal. Ich esse so gut wie nichts. Nur ein paar Nüsse und Obst. Ich gehe weit den Strand entlang. Hin und zurück, von morgens bis abends.
    Ich trinke Wasser. Ich wasche mich im Meer. Es genügt nicht. Der Spatz ist verletzt.
    Nach ein paar Tagen brechen wir auf. Wir fahren den ganzen Tag und kommen über die Grenze nach Bulgarien. An einen anderen Ort für Charterreisende.
    Ich gehe einen anderen Strand entlang. Ich rede nicht. Sie machen sich meinetwegen Sorgen, lassen mich aber in Ruhe. Germund legt manchmal nachts seine Hand auf meine, und ich lasse es zu, dass er sie hält.
    Manchmal flüstert er mir etwas zu. Ich lasse ihn flüstern.
    Doch ich sage nichts.
    Ich weiß, was sie denken. Sie war vorher schon merkwürdig. Es wird nicht besser geworden sein.
    Sie haben vollkommen Recht. Es ist nicht besser geworden.
    Ich gehe und gehe. Wasche mich im Meer. Wasche mich im Meer.

46
    S ie hing am Respirator.
    Er setzte sich auf einen Stuhl daneben und betrachtete sie. Es gab nicht viel anderes zu tun, als sie anzuschauen. Nichts, was er tat oder sagte, konnte das Schicksal beeinflussen. Nichts, was er sich vorstellte. Gar nichts.
    Es war halb acht, sie würden sie erst nach vielen Stunden aus der Narkose wecken. Wahrscheinlich erst morgen früh. Die Operation war durchgeführt. Sie war laut dem Chirurgen, Doktor Hemmingsson, planmäßig verlaufen. Barbarotti hatte zwanzig Minuten lang mit ihm gesprochen, und er wusste immer noch nicht, was planmäßig bedeutete.
    Doch, er wusste, was planmäßig bedeutete, aber nicht, was es beinhaltete. Das würde man erst erfahren, wenn die Patientin aus der Narkose erwachte. Laut Hemmingsson.
    Es hatte sich um eine relativ kleine Blutung gehandelt. Man hatte das Blut entfernt und die Ader verödet. Es gab nichts, was auf einen größeren Schaden hindeutete.
    Aber es war schwer, Prognosen hinsichtlich des Gehirns zu stellen. Und nicht besonders sinnvoll. Das Einfachste war, abzuwarten, bis die Patientin aufwachte, und dann die Tatsachen festzustellen.
    Laut Hemmingsson.
    Also nach diversen Stunden. In regelmäßigem Abstand kamen Krankenschwestern und kontrollierten den Grad ihres Bewusstseins, pieksten mit Stiften um die Fingernägel und drückten ihre Hände. Lasen die Angaben auf den Bildschirmen. Er hatte auch mit der Narkoseärztin gesprochen. Sie hieß Mousavi und war im Iran geboren. Alles verlief routinegemäß, erklärte Mousavi. Als Nächstes ging es darum, die Patientin zum richtigen Zeitpunkt von der künstlichen Beatmung zu be-
freien.
    Aber sicher nicht vor morgen früh.
    Laut Mousavi.
    Eine Zeitlang hielt er ihre Hand. Sprach immer wieder mit ihr. Fragte sich, ob sie das wohl auf irgendeine Art und Weise mitbekam.
    Vermutlich nicht, es gab absolut keine Reaktion, und die konnte es auch gar nicht geben, zumindest nicht, wenn man den Ärzten glaubte. Wenn man ohne künstliche Beatmung keine Luft schöpfen konnte, konnte man sich auch nicht seiner Umwelt mitteilen.
    Das nahm zumindest Gunnar Barbarotti an, was ihn aber nicht daran hinderte, ihre Hände zu halten und mit ihr zu sprechen.
    Er hatte auch mit den Kinder gesprochen. Per Telefon. Ein paar Mal mit Sara, und mit Jenny und Johan. In erster Linie mit Jenny und Johan. Schließlich war es ihre Mutter, die neben ihm im Bett lag. Marianne war natürlich auch Lars’ und Martins Ersatzmutter – und Saras –, aber es wäre albern, sich einzubilden, dass es da keinen Unterschied gab. Sie hatten jetzt drei Jahre lang zusammen in der Villa Pickford als Familie gelebt, aber Blut war immer noch dicker als Wasser oder die Zeit.
    Es war gut gegangen, das hatte er ihnen erklärt. Die Ärzte hatten sie operiert, aber vielleicht wird sie nicht vor morgen früh aufwachen. Was wollten sie tun?
    Jenny wusste es nicht, und Johan fiel es schwer, überhaupt etwas zu sagen. Barbarotti konnte hören, wie er mit den Tränen kämpfte.
    Er hatte vorgeschlagen, dass sie den ersten Morgenzug nahmen. Und natürlich ständig telefonisch in Kontakt blieben, falls in der Nacht etwas passierte, aber es genügte, wenn sie morgen Vormittag in der Sahlgrenska ankamen.
Oder?
    Wenn ihr trotzdem gleich fahren wollt, dann könnt ihr das tun.
    Sie hatten es so abgemacht: mit dem ersten Zug morgen früh.
    Lars und Martin blieben mit Sara bis auf Weiteres in Kymlinge. Sie versuchten weiterzumachen wie bisher.
    Aber es war auch möglich, dass Marianne bereits am kommenden Tag nach Kymlinge zurückgebracht wurde,

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