Einsamen
Gegend war man kaputte Reifen gewohnt.
Oft entschlossen sie sich, lieber in einem Hotel zu übernachten als im Bus. Es kostete fast nichts, und sie bekamen auch Abendessen und Frühstück zu einem Spottpreis. Rickard wusste, er würde sich immer an diese kleinen Orte erinnern, einer war dem anderen zum Verwechseln ähnlich; es waren nur drei, vielleicht vier, bevor sie Skopje erreichten, aber Zeit wie Raum erschien ihnen unwirklich und verschwommen. Genau wie das zurückhaltende Palaver an der Grenze, weil ihr Visum abgelaufen war. Sie bezahlten einige Deutsche Mark und ein paar Päckchen Zigaretten und durften weiterfahren.
Sie redeten so gut wie gar nicht miteinander während dieser Tage, nur das Notwendigste. Manchmal hatte er das Gefühl, dass die Sprache selbst zu etwas Peinlichem geworden war. Etwas, das zu benutzen man sich hüten sollte.
Als erforderte es die Situation von ihnen. Das, was in Timisoara geschehen war. Als hätte Marias Schweigen die anderen angesteckt. Oder würde sie zum Schweigen zwingen. Als Solidarität, eine bisher unbekannte Form des Begriffs.
Ja, ungefähr so verhielt es sich tatsächlich. Rickard versuchte ab und zu eine Art Gespräch mit Gott zu führen, stellte aber schnell fest, dass es aus dieser Richtung genauso still war. Als hätte auch dieser Marias Opfer verstanden und zöge es vor, sich abwartend zu verhalten.
Wir müssen nach Hause, dachte Rickard. Nichts wird irgendwie wieder normal, bevor wir nicht zu Hause sind.
Sie erreichten das vom Erdbeben getroffene Skopje. Sie fuhren durch Sarajewo und Dubrovnik, und am 24. August ließen sie auf der schönen Halbinsel Porec den Ostblock hinter sich. Klippen, die sich senkrecht in die Adria stürzten, kristallklares Wasser, aber sie blieben nur eine Stunde, um zu baden. Fuhren nach Triest in Italien, und Rickard spürte, wie ihn eine Art Erleichterung überfiel. Plötzlich erschien das Dasein wieder begreiflich zu sein. Mit einem Mal begriff er seine Umgebung.
Er bildete es sich zumindest ein. Vielleicht verbesserte sich die Situation unter den Reisenden im Bus auch, aber nicht viel. Maria sprach immer noch nicht. Die anderen beschlossen, am Abend in der italienischen Alpenstadt Tolmezzo in ein etwas besseres Restaurant zu gehen. Es war eine Art letzter Versuch, wieder zur Normalität zu finden, doch er war nicht besonders geglückt. Germund und Maria gingen nicht mit, und als Tomas versuchte, das, was passiert war, zur Sprache zu bringen, gab es niemanden, der den Faden aufnahm. Worte erschienen immer noch unangenehm. Sie schlossen eine Art Übereinkunft, das war offenbar alles, was möglich war. Dass sie nie darüber sprechen wollten, was in Timisoara passiert war. Mit niemandem. Es erschien ein ganz logischer Beschluss zu sein, das fanden alle.
Sie verließen das Restaurant nach nicht einmal zwei Stunden.
Früh am Morgen des 26. August fuhren sie durch München, wo die Olympischen Sommerspiele am selben Tag eröffnet werden sollten. Noch zwei Wochen, und dann würden sieben israelische Sportler ermordet werden, aber jetzt war die Luft klar, der Himmel hoch.
Sie übernachteten auf einem Campingplatz vor der Universitätsstadt Göttingen in dem Bundesland Niedersachsen, und spät am Abend des 27. August erreichten sie die letzte Fähre des Tages von Puttgarden nach Rödby in Dänemark. Fuhren in einem Stück durch Dänemark, über den Öresund via Helsingör-Helsingborg, und waren einen halben Tag später daheim in Uppsala.
Es war Mitternacht zwischen dem 28. und 29. August. Sie waren siebenunddreißig Tage fort gewesen. Die letzte Woche hatten sie fast die gesamte Zeit im Bus verbracht. Das war kaum ihre Absicht gewesen, und Rickard dachte, dass er am liebsten eine ganze Woche in seinem eigenen Bett durchschlafen würde und in einer ganz anderen Situation aufwachen.
Was Anna dachte und sich wünschte, das wusste er nicht. Aber er hoffte, dass sie irgendwann wieder miteinander reden könnten.
48
E va Backman erreichte Barbarotti erst um halb zehn Uhr abends.
Er hatte sein Handy ausgeschaltet, wie er erklärte, da er sich im Sahlgrenska Krankenhaus in Göteborg befand.
»Im Sahlgrenska?«, wunderte Backman sich. »Wieso das?«
»Es geht um Marianne«, erklärte Barbarotti, und dann war es fünf Sekunden lang still, bevor er herausbrachte, dass sie eine Gehirnblutung gehabt hatte.
Backman schwieg daraufhin ebenfalls fünf Sekunden. Mindestens. Beide saßen da und hörten den Atemzügen des anderen eine Ewigkeit lang
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