Einsamen
gab es wohl keinen Grund zu der Annahme, dass alles ausgerechnet jetzt zusammenstürzen würde. Oder innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Dystopien , so hieß das, und da die herrschenden Linkspropheten sich am liebsten der Beschäftigung widmeten, derartige dunkle Analysen der momentanen Lage aufzustellen – die spätkapitalistische Hölle , wie er es an hervorgehobener Stelle in Dagens Nyheter vor ein paar Tagen gesehen hatte –, so war es wohl kein Wunder, wenn einen das Gefühl ereilte, dass alles zum Teufel ging. Der Untergang war nahe, alternativ die Revolution, alternativ der Krieg – aber an eine langsame, positive und friedliche Entwicklung zu glauben, nein, das war heutzutage einfach nicht möglich.
Fast ebenso unmöglich, ein Christ zu sein. Schon allein, wie Dag Hammarskjölds Zeichen am Weg in gewissen tonangebenden Kreisen aufgenommen worden war. Der bedeutendste Schwede der Welt wurde auf den Müllberg geworfen, nur weil er einen Glauben hatte. Das war schon erschreckend.
Dachte Rickard Berglund, drückte seine Zigarette aus und bog nach links in die Idunagatan ein. Auf jeden Fall gab es Gründe, den großen Plan geheim zu halten. Gute Gründe, beschloss er und schaute auf die Uhr. Viertel vor sieben, Zeit, sich zurück zur Tankstelle zu begeben. Den Lastwagen abzuholen und endlich mit dem Umzug anzufangen. Sie hatten schon eine Woche lang gepackt und geplant, vermutlich hätten zwei Tage gereicht, aber es war nicht so einfach, die Vorfreude zu bremsen.
Wirklich nicht leicht. Rickard und Anna. Anna und Rickard. Unter demselben Dach, allein bei dem Gedanken spürte er ein wohliges Prickeln in sich.
Eine leichte Furcht gab es auch, aber in erster Linie Freude.
Die Wohnung lag in Kvarngärdet. Väktargatan 40, drei Zimmer und Küche im Erdgeschoss mit eigenem Garten. Zweiundsiebzig Quadratmeter, das erschien beiden unbegreiflich viel. Eher wie geschaffen für eine Familie mit Kindern als für zwei Studenten, da gab es keinen Zweifel, und in Kvarngärdet wimmelte es nur so von Sandkisten und Kinderwagen. Von Hunden und Katzen auch, und alle Menschen schienen dreißig Jahre alt zu sein oder jünger. Natürlich in erster Linie die Kinder. Anna und er waren ein paar Mal heimlich dort herumgelaufen und hatten sich gegenseitig versichert, dass es ihnen gefiel. Hier würden sie sich wohlfühlen, hier würden sie ihr gemeinsames Leben aufbauen können.
Doch zuerst fuhr er mit dem Lastwagen in die Torsgatan, wo Anna und er seine spärlichen Siebensachen aufluden – eigentlich nur Bücher und Kleidung –, und das in weniger als einer halben Stunde. Er verabschiedete sich von der Witwe Liffermann, die offenbar fand, es sei an der Zeit, dass er auszog und sich eine Freundin anschaffte – und er konnte sogar noch seinen Zimmernachfolger begrüßen. Sie stießen im Treppenhaus aufeinander, ein pickliger Theologe im ersten Semester aus Vittangi; er hieß Josef und war wahrscheinlich Laestadianer, wie Rickard schätzte. Er sah so innerlich brennend aus. Als beherbergte er einen wütenden, kratzenden Gott in der Brust. Diese jungen Laestadianer hatten so etwas Selbstverzehrendes an sich, es war kaum zu übersehen, und bei den Theologen gab es reichlich von ihnen.
Im Glimmervägen war dafür umso mehr herauszuschaffen und unter die blauweiße Plane des Lastwagens zu stapeln, und hier tauchten auch Tomas und Germund auf. Das war so verabredet. Gemeinsam schleppten sie Kisten mit Glas, Porzellan und Küchengerät. Stühle und einen Küchentisch. Das abgewetzte Cordsofa und die beiden Plastiksessel von Myrorna. Kartons mit Büchern und Schallplatten; Kleidung, Lampen, Bügel, Staubsauger, Plakate (jedoch nicht Mao und Che, die waren im Laufe des Jahres, das sie zusammen waren, wer weiß wohin verschwunden. Anna und Rickard natürlich, Mao und Che waren nie in dieser Form zusammen). Zweifellos war es Anna, die den größten Teil zu dem gemeinsamen Haushalt beisteuerte, es war schon erstaunlich, was sich innerhalb der vier Jahre, die sie in Eriksberg gewohnt hatte, so alles angesammelt hatte. Aber das war ein Ungleichgewicht, das nichts bedeutete. Nicht die Spur. Wollte man ein Leben teilen, dann musste man natürlich auch alles andere teilen.
Das einzig wirklich Neue, was sie sich gönnten, das war ein Bett. Es war groß wie ein Meer, hieß Adam und war bei Sencello in der Fußgängerzone bestellt worden. Keine Spanplatten, sondern ein richtiges Bett mit Holzrahmen, Lattenrost und doppelt geschichteter Matratze.
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