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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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–, und Eva Backman zu offenbaren, warum er so schnell und problemlos seine Meinung geändert hatte; es war ein Gefühl, als würde er sich in den Fuß schießen. Je weniger wussten, dass er ein Halbidiot war, umso besser.
    Außerdem war es äußerst fraglich, ob er tatsächlich seine Meinung geändert hatte. Es war nur so, dass diese leichte Faszination, die er gegenüber den Ereignissen dort in der Gänseschlucht gespürt hatte, abebbte. Dieses Prickeln, das so schwer zu definieren war und meistens bedeutete, dass etwas nicht stimmte, gab es nicht mehr. Ich scheiße auf diesen Dozenten, dachte er. Natürlich hat er sich das Leben genommen, es ist genau so, wie Backman behauptet. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir den Fall zu den Akten legen, aber trotzdem werde ich vorurteilsfrei arbeiten.
    Objektiv und vorurteilsfrei, genau wie immer.
    Einen Moment lang überlegte er, Marianne anzurufen und bei der Arbeit zu stören, ließ es dann aber sein. Es erschien unnötig, eine Geburt zu unterbrechen, nur weil er ihre Stimme hören wollte. Falls sie immer noch Schlange lagen, um zu ge-
bären, wie sie behauptet hatte. Ich kaufe stattdessen heute Abend einen Strauß Rosen, beschloss er. Wann haben Sie Ihrer Frau das letzte Mal Blumen geschenkt?
    Zufrieden mit all diesen delikaten Abwägungen und Beschlüssen leerte er seinen Kaffeebecher und suchte die Unterlagen zu Rickard Berglund heraus, ehem. Pfarrer, nunmehr Bestattungsunternehmer.

25
    R ickard Berglund war eine halbe Stunde zu früh an der OK-Tankstelle an der Svartbäckgatan. Er dachte, sie hätten halb sieben vereinbart, aber auf dem Schild für die Öffnungszeiten stand »7–21«, deshalb nahm er an, dass er sich geirrt hatte.
    Es war ein kalter Morgen, sicher einige Grade unter Null, obwohl es erst der erste Oktober war. Ein schneidender, anhaltender Nordwind leistete ihm Gesellschaft. In Uppsala schien es immer aus dem Norden zu wehen, das war ihm früher schon aufgefallen. Als nähme der Wind irgendwo hoch oben in Norrland Anlauf, sammelte all seine Kraft und Wut während seiner Reise gen Süden und würde nirgends auf Widerstand stoßen, bis er den Dom und die Universitätsstadt erreichte. Rickard Berglund wünschte, er hätte sich einen Pullover mehr und ein Paar Handschuhe übergezogen, das hätte nicht geschadet. Er beschloss, eine Runde spazieren zu gehen in Erwartung, dass die Tankstelle geöffnet wurde, das war besser, als hier zwischen den Zapfsäulen herumzustehen und zu bibbern.
    Der erste Oktober 1971, dachte er, schob die Hände in die Taschen und begann, die Stiernhielmsgatan entlangzugehen. An diesem Tag zog ich zum ersten Mal mit einem Mädchen zusammen. Nein, falsch. Der Tag, an dem meine zukünftige Frau und ich zusammengezogen sind , so sollte es heißen. Anna und ich. Rickard und Anna Berglund, geborene Jonsson.
    Sie hatten nie darüber gesprochen, zu heiraten, natürlich nicht, aber Rickard wusste trotzdem, dass es so kommen würde. In seinem privaten, geheimen Kalender rechnete er damit, dass das Ereignis wohl so in ein oder zwei Jahren stattfinden würde. 1972 oder 1973, es gab keinen Grund, unnötig zu warten. Und dann könnten sie noch vor dem Jahr 2000 ihre Silberhochzeit feiern. Der große Plan, laut Grundenius.
    Was mache ich hier eigentlich?, fragte er sich plötzlich. Im Jahr 2000 bin ich einundfünfzig Jahre alt! Das war ein schwindelerregend langer Zeitraum. Werde ich dann einer Gemeinde vorstehen?, fragte er sich weiter. Werden Anna und ich auf einem Pfarrhof wohnen und vier Kinder haben? Wovon das eine oder andere bereits ausgeflogen ist? Enkelkinder? Schwindelerregend, wie gesagt.
    Und wie wird die Welt dann aussehen?
    Zweifellos eine berechtigte Frage, stellte er fest und zündete sich eine Zigarette an. Wird der Kommunismus dann gesiegt haben? Wird ein Dritter Weltkrieg alles zerstört haben? Wird sich überhaupt noch jemand um so etwas Albernes und Kleinbürgerliches wie einen Hochzeitstag kümmern?
    Wird es noch Kirchen geben? Und Pfarrer? Wird jemand noch an Gott denken? Hat man vielleicht eine neue Art Opium fürs Volk gefunden?
    Das waren Fragen, die seine Kommilitonen in der Theologie zu diskutieren pflegten, aber Rickard hatten sie nie ernsthaft beschäftigt. Es war so einfach, sich einzubilden, man lebe in der äußersten aller Zeiten, so einfach, den Teufel an die Wand zu malen. Wenn doch Gott, die Welt und alle möglichen Gesellschaften schon seit Tausenden und Abertausenden von Jahren existiert hatten, dann

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